Menschen mit HIV haben immer noch mit vielen Vorurteilen zu kämpfen. Besonders Frauen leiden stark unter dem Stigma. Nun spricht eine Betroffene mit Nau.
welt aids tag
Am Welt Aids Tag wird der Zugang zu Prävention für alle gefordert. - dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • Der 1. Dezember ist der Welt-Aids-Tag.
  • Der Tag dient dazu, den durch Aids Verstorbenen zu gedenken und Solidarität zu zeigen.
  • Eine 50-jährige HIV-Infizierte spricht über Vorurteile und sozialen Ausschluss.
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Nau.ch: Sie möchten weder namentlich erwähnt werden, noch vor die Kamera stehen . Ist es denn immer noch so schwer, sich als HIV-positive Frau zu «outen»?

S.V.(*): Ja, ich finde schon, vor allem gegenüber dem Arbeitsplatz. Auch im Verwandten- und Bekanntenkreis weiss man halt nie, wie sie reagieren werden. Die Vorurteile gegenüber Personen mit HIV, besonders Frauen, sind einfach immer noch riesig.

Nau.ch: Es wird wenig darüber gesprochen, dass auch Frauen sich mit HIV anstecken können. Wieso denken Sie, ist das vielen nicht richtig bewusst?

S.V.: Man geht auch heute noch davon aus, dass die Frau einfach Zuhause ist und auf die Kinder aufpasst. Vielleicht noch ein wenig arbeiten, aber hauptsächlich für den Mann da sein. Und es gibt Frauen, die nicht so sind, die dann, wenn es nicht mehr so funktioniert, auch einen Seitensprung haben.

Aids
Die rote Schleife stellt weltweit ein Symbol für den Kampf gegen Aids dar. (Symbolbild) - Keystone

Dort kann es auch passieren, dass sie sich nicht darauf achtet, zu verhütet. Ich glaube, Männern ist oftmals nicht bewusst, dass Frauen sowas selber entscheiden. Man lebt sich woanders aus, wenn es Zuhause nicht mehr so funktioniert.

Nau.ch: Hatten Sie selber schon direkt oder indirekt mit Vorurteilen zu kämpfen?

S.V.: Nein, eigentlich nicht. Ich bin nun schon seit zehn Jahren an HIV erkrankt und bin immer sehr diskret damit umgegangen. Und bei denen, die es wissen, habe ich nie Probleme gehabt. Auch beim Frauenarzt oder Zahnarzt gab es nie Komplikationen. Ich muss natürlich immer erwähnen, dass ich HIV habe, damit sich die Fachkräfte korrekt verhalten können.

Nau.ch: Wie haben Sie sich mit HIV infiziert?

S.V.: Zwischen mir und meinem Mann hat es schon länger nicht mehr so funktioniert, wie es sollte. Also habe ich mich ausserhalb unserer Ehe auf die Suche gemacht und bin fündig geworden. Ich hatte schon seit längerer Zeit eine Sache mit einem anderen Mann, wir waren immer vorsichtig und diskret. Doch an einem Abend waren wir unvernünftig und hatten Sex ohne Kondom. Er hat mir jedoch nie gesagt, dass er an HIV erkrankt ist.

Ich habe auch lange Zeit nicht gewusst, dass ich es von ihm hatte. Da er aber meine erste aussereheliche Beziehung war, kam ich zum Schluss, dass es nur von ihm sein konnte. Auch wusste ich, dass mein Mann mich nie betrogen hatte.

Ich habe die Sache zwischen mir und ihm unabhängig von meiner Diagnose beendet. Seither hatte ich auch keinen Kontakt mehr mit ihm. Er weiss gar nicht, dass ich mich bei ihm mit HIV angesteckt habe.

Nau.ch: Als Sie die Diagnose erhalten haben, wie war das?

S.V.: Ich habe es eigentlich durch reinen Zufall erfahren. Geplant war ein normaler Check, wie man es eben so macht. Und dann bin ich bei meinem Frauenarzt auf dem Stuhl gesessen und habe dieses Formular angeschaut. Ganz unten stand dann noch «HIV» und spontan habe ich entschieden, dass er das auch noch abklären soll.

HIV
In der Schweiz gibt es seit Sommer 2019 HIV-Selbsttests. - Keystone

Dann hat mich der Arzt drei Tage später angerufen und mir die Nachricht überbracht, dass ich mit HIV infiziert bin. Ich war so geschockt, dass mir beinahe der Telefonhörer aus der Hand gefallen ist.

Nau.ch: Hat es lange gedauert, bis Sie die Nachricht begreifen konnten?

S.V.: Ich musste es natürlich meinem Mann sagen, das war klar. Seit da ist es zwischen uns nicht mehr so, wie es einmal war. Wir hatten zwar schon vorher Probleme, aber mit der Nachricht der Infizierung wurde es noch extremer.

Doch ich bin ein Mensch, der nicht lange auf Dingen herumreitet. Also nach ein paar Tagen habe ich zu mir selbst gesagt: «So, jetzt hast du es und musst einfach damit leben.»

Ich habe auch nächtelang die ganze Thematik im Internet recherchiert und habe mich so damit abgefunden. Ich bin krank, doch es gibt eine Lösung, damit ich nicht ein Jahr später auf dem Friedhof lande. Mit diesen Gedanken konnte ich weitermachen.

AIDS Pille
Die AIDS Pille könnte HIV-Infektionen in der Schweiz bis 2030 verschwinden lassen. (Symbolbild) - keystone

Nau.ch: Wie haben sich auch Dinge zwischen Ihnen und Ihrer Familie verändert?

S.V.: Die Beziehung zwischen uns hat sich noch verschlechtert. Er konnte es mir nicht verzeihen und wir leben nun mehr in einer grossen WG zusammen. Mein Mann hat auch nie versucht, es zu verstehen oder mir zu helfen.

Meine Kinder dagegen haben mich immer unterstützt und haben nie merkwürdig reagiert. Mir war es einfach wichtig, dass sie es nicht ihren Freunden erzählen, da dies auch für sie starke soziale Folgen haben könnte.

Nau.ch: Wie hat sich auch ihr Sozialleben nach der Diagnose geändert?

S.V.: Ich bin eigentlich immer noch die, die ich schon immer war. Aber ich habe gegen Aussen ein wenig meine Spontanität verloren. Diese habe ich wirklich nur noch, wenn ich mit den Positiv-Frauen unterwegs bin. Dort fühle ich mich wohl, weil sie genau im gleichen Boot sitzen und das gleiche durchgemacht haben.

Was sich aber positiv geändert hat: Ich bin viel selbstbewusster geworden. Früher habe ich mir viel zu viel gefallen lassen, das hat sich jetzt geändert. Ich bin nicht mehr diejenige, die zu allem «Ja und Amen» sagt. Heute gehe ich voll in die Offensive. Das ist beinahe ein Glück im Unglück, wenn ich das so sagen kann.

Nau.ch: Was können Sie anderen HIV-positiven Frauen mit auf den Weg geben?

S.V.: Also ich würde sagen, man muss sich trotz des Schocks sofort mit der Krankheit HIV auseinandersetzen. Man soll aber auch nicht alles glauben, was man im Internet findet. Es gibt so viel Unwahres, was über die Krankheit verbreitet wird. Und es gibt auch solche Scharlatane, die angeben, sie könnten die Krankheit heilen.

gericht hiv positive
Rote Schleifen, weltweit anerkanntes Symbol für die Solidarität mit HIV-Infizierten, liegen auf einem Tisch. - Keystone

Man kann im Internet auch Gleichgesinnte finden. Das hat mir sehr geholfen. In Chatrooms und sozialen Gruppen kann man so viele Leute kennenlernen, mit Experten reden und auch Menschen, die schon lange darunter leiden.

Nau.ch: Und was glauben Sie, braucht es, damit sich HIV-Infizierte in der Gesellschaft nicht mehr ausgeschlossen fühlen?

S.V.: Es braucht einfach noch viel, viel mehr Akzeptanz, diese ewig engstirnigen Leute sollen aufhören, mit dem Finger auf uns zu zeigen. Ja, wir sind wohl auch selber schuld, dass wir diese Krankheit haben, das ist uns bewusst. Aber wir sind trotzdem keine bösen Menschen oder Verbrecher.

Schlussendlich müssen wir mit dieser chronischen Krankheit zurecht kommen und es ist schon ohne den mahnenden Zeigefinger schwer genug.

(*) Name von der Redaktion abgeändert.

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