Formel 1: GP in Saudi-Arabien: Sport zwischen Moral und Millionen

Das Wichtigste in Kürze
- Dieses Wochenende fährt die Formel 1 zum zweiten Mal nach 2021 in Saudi-Arabien.
- Das Dilemma des Sports zwischen Moral und Millionen gerät in den Fokus.
- Das Land steht unter anderem wegen seines Umgangs mit Menschenrechten in der Kritik.
Die Verträge mit Russland hat die Formel 1 aufgelöst. Aber andere Gastgeber sind kaum weniger schwierig. Das Rennen in Saudi-Arabien offenbart erneut das Dilemma des Sports zwischen Moral und Millionen.
Die Frage nach den Massen-Hinrichtungen im nächsten Gastgeberland pariert der Formel-1-Chef mit bewährter Routine. «Die Nachrichten sind natürlich ziemlich alarmierend. Ich glaube fest daran, dass der Sport die Menschenrechte ins Zentrum stellen sollte, wie auch das Land, in das wir gehen», beteuert Stefano Domenicali vor dem Rennen in Saudi-Arabien.
Finden Sie es vertretbar, dass die Formel 1 in Saudi-Aarabien fährt?
Weiterfahren heisst dennoch die Devise für die Rennserie, auch wenn das Königreich gerade erst binnen eines einzigen Tages 81 Menschen hingerichtet hat.
«Finanzbedarf spielt gewichtige Rolle»
Der Umgang der Formel 1 mit Saudi-Arabien, das am Sonntag in Dschidda zum zweiten Mal einen Grand Prix erlebt, steht stellvertretend für das Dilemma des Sports. Auf der Suche nach frischem Geld und neuen Märkten haben sich Sportbetrieb und Rechte-Inhaber längst reihenweise auch an zweifelhafte Partner gebunden.
«In einer idealen Welt passen die eigenen Werte mit denen der Investoren und sponsernden Marken zusammen, in der Realität spielt aber eben auch der Finanzbedarf eine gewichtige Rolle», sagt Mathias Bernhardt, Geschäftsführer beim Forschungs- und Beratungsunternehmen Nielsen Sports.
Formel 1 kündigt Russland-Deal
Olympia in Peking, die Fussball-Weltmeisterschaften in Russland und Katar, der Einstieg des saudischen Staatsfonds bei Newcastle United – bei der Auswahl von Gastgebern und Finanziers sind im Sport Moral und Menschenrechte nicht immer die Gewinner. «Was aber auch klar ist, dass alle am Ende mehr Geld brauchen, um das Entertainment zu finanzieren, das die Fans eben auch sehen wollen», erklärt Experte Bernhardt die heikle Motivlage.

Den lukrativen Deal mit Russland hat die Formel 1 unter dem Druck des Ukraine-Krieges und der harten Sanktionen aufgekündigt. Weder dieses Jahr in Sotschi noch wie eigentlich vereinbart ab 2023 in Wladimir Putins Heimat St. Petersburg wird die Rennserie fahren.
Kritiker weisen allerdings darauf hin, dass auch Saudi-Arabien seit Jahren einen Krieg im Jemen führt. Dieser hat eine der schlimmsten aktuellen humanitären Katastrophen ausgelöst.
Sport als politische Strategie
Kurz vor dem Grand Prix der Formel 1 griffen jemenitische Huthi-Rebellen mehrere Ziele in Saudi-Arabien an, darunter eine Anlage von Aramco nahe Dschidda. Der Ölkonzern ist einer der grössten Geldgeber der Formel 1. Bei Sebastian Vettels Team Aston Martin tritt der Energieriese, der weitgehend im staatlichen Besitz ist, als Titelsponsor auf.
«Man kann ganz klar an der Entwicklung der letzten Jahre sehen, dass gerade Staaten aus dem arabischen Raum das nicht nur als Sportengagement, sondern als politische Strategie verstehen. Sie wollen sich über das positiv besetzte Thema Sport, die Emotionen, die Fans ein positiveres Image verschaffen», sagt Fachmann Bernhardt.
Auch gute Geschäfte mit dem Fussball
Saudi-Arabien gab vor drei Monaten als vierter Gastgeber in dieser Weltregion sein Formel-1-Debüt. Abu Dhabi, Bahrain und Katar haben ebenfalls langfristige Verträge mit der Rennserie geschlossen. Auch diesen Ländern werfen Organisationen wie Amnesty International Verstösse gegen die Menschenrechte, die Unterdrückung Oppositioneller und die Einschränkung der Meinungsfreiheit vor.
Doch auch König Fussball macht hier gute Geschäfte. Abu Dhabi hat mit seinen Investitionen Manchester City laut Berechnungen der Beratungsgesellschaft Deloitte zum umsatzstärksten Club Europas gemacht. Katar leistet sich seit Jahren das Star-Ensemble von Paris Saint-Germain und lädt im Winter zur Wüsten-WM. Mit saudischem Geld will nun auch Newcastle United nach dürren Jahren in der Premier League wieder durchstarten.

Mit seinem Reformprogramm «Vision 2030» will sich Saudi-Arabien bis zu jenem Jahr unabhängiger machen vom Öl – auch durch Investitionen im Ausland und eben im Sport. Die Formel 1 kassiert angeblich für zehn Jahre 900 Millionen US-Dollar Antrittsprämie.
Human Rights Watch kritisiert Engagements wie dieses scharf: «Saudi-Arabien hat in der Vergangenheit immer wieder prominente Persönlichkeiten und internationale Grossveranstaltungen genutzt, um von seinen weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen abzulenken.»
Top-Sportereignisse als Türöffner
Saudi-Arabiens Sportminister hält dieses Bild seines Landes für verfälscht. Das islamisch-konservative Königreich wolle sich zu einer besseren Gesellschaft entwickeln, betont Prinz Abdulaziz Bin Turki Al-Faisal.
«Wir sind nicht perfekt, aber das ist niemand. Wir bewegen uns in die richtige Richtung», sagt er. Top-Sportereignisse würden dem Land auf seinem Weg der Öffnung helfen, lässt der Minister vor dem Rennen wissen.

Sportfunktionäre ihrerseits kontern Kritik oft mit dem Verweis, dass der Sport unpolitisch sei. Formel-1-Geschäftsführer Domenicali versichert zudem: «Der Fakt, dass wir vor Ort sind, richtet das Scheinwerferlicht auf Themen, die sonst an anderer Stelle in den Nachrichten auftauchen würden.»
Rekord-Weltmeister Lewis Hamilton drängt seine Fahrerkollegen, ihre Reichweite bei Fans zu nutzen, um auf Missstände hinzuweisen. «Es muss unsere Priorität sein, gemeinsam Druck für einen langanhaltenden Wandel zu machen», sagt der Mercedes-Pilot. Wie so oft bleibt nur die Frage, inwiefern diese Stimmen das Motorengetöse in Dschidda übertönen können.