Seehofer macht vorläufigen Rückzieher bei automatischer Gesichtserkennung

Das Wichtigste in Kürze
- Innenminister will zunächst breite politische Debatte anstossen.
Zum Einsatz dieser umstritten Technologie habe er «noch einige Fragen», sagte Seehofer am Freitag vor Beginn des EU-Innenministertreffens in Zagreb. Sein Ministerium stellte klar, dass die automatische Gesichtserkennung keineswegs vom Tisch sei. Vor einer Verankerung im Gesetz wünsche der Minister aber eine «breite Debatte», um für «gesellschaftliche Akzeptanz» zu werben.
Kritiker der Gesichtserkennung warnen, die Technologie könne Datenschutz- und Persönlichkeitsrechte verletzen. Seehofer sprach in Zagreb selbst von «schwierigen juristischen und praktischen Fragen». Der Einsatz dieser Technologie sei «keine ganz nebensächliche Angelegenheit».
Deshalb habe er die Novelle des Bundespolizeigesetzes «ohne diesen Passus auf den Weg gebracht», sagte Seehofer. Das Thema Gesichtserkennung solle nun «im parlamentarischen Raum» diskutiert werden. «Das muss schon alles sehr sorgfältig gemacht werden.»
Zuvor hatten sich unter anderem SPD, Grüne und FDP sowie der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber kritisch zur automatisierten Gesichtserkennung geäussert. Diese hätte nach bisherigen Plänen des Bundesinnenministeriums etwa an Flughäfen und Bahnhöfen zum Einsatz kommen können.
Seehofer Rückzieher bedeutet nach Angaben seines Ministeriums keinesfalls das Aus für solche Überlegungen. «Die automatische Gesichtserkennung ist aus unserer Sicht nach wie vor sinnvoll», sagte ein Sprecher. Sie sei ein «wertvoller Beitrag zur Arbeit der Polizei» für die Sicherheit etwa an Bahnhöfen und Flughäfen.
Hier habe «kein Umdenken des Ministers stattgefunden», betonte der Sprecher. Seehofer komme es aber darauf an, dass darüber eine «breite Debatte» geführt werde.
Der Sprecher verwies auf einen Testlauf für die automatische Gesichtserkennung am Berliner Bahnhof Südkreuz. Der Test habe ergeben, dass die Technologie «einen Mehrwert für die Arbeit der Polizei» leisten könne. Die Gesichtserkennung habe «eine Reife erreicht, die ausreicht, um diese Technik einzuführen».
Politiker der Opposition, aber auch des Koalitionspartners SPD, sprachen sich gegen die Einführung der Gesichtserkennung aus. «Wir wollen keinen Einstieg in den Überwachungsstaat», erklärte die SPD-Innenexpertin Ute Vogt. «Die bisher geplante Regelung im Bundespolizeigesetz hätte dafür rechtlich Tür und Tor geöffnet.» Seehofers Rückzieher zeuge von «guter Einsicht und Erkenntnis».
Grünen-Vizefraktionschef Konstantin von Notz forderte die Bundesregierung zu einem gesetzlichen Verbot von automatischer Gesichtserkennung auf. «Die automatisierte Gesichtserkennung erhöht Sicherheit nicht, sondern gefährdet Grundrechte», erklärte er. «Die Technik stellt die relative Anonymität öffentlicher Räume grundsätzlich in Frage.»
Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) warnte, der Einsatz von automatischer Gesichtserkennungssoftware «bedroht unsere individuelle Freiheit». Die Streichung aus dem Entwurf des Bundespolizeigesetzes sei daher «überfällig» gewesen. «Jetzt muss sichergestellt werden, dass sie nicht durch die Hintertür auf Länderebene eingeführt wird.»
Der Anti-Terrorbeauftragte der EU, Gilles de Kerchove, verteidigte derweil den Einsatz der automatischen Gesichtserkennung durch die Sicherheitsbehörden. Niemand wolle ein Modell wie in China mit totaler Überwachung, sagte er der der Nachrichtenagentur AFP am Rande des EU-Innenministertreffens in Zagreb. Die Gesichtserkennung habe sich in der Terrorismusbekämpfung aber als «besonders wirksam» erwiesen. So habe es ein Programm der EU-Polizeibehörde Europol ermöglicht, Verdächtige «an der Grenze festzunehmen, die mit falschen Pässen reisten».