Angeklagter in Hamburger Stutthof-Prozess entschuldigt sich in letztem Wort

Das Wichtigste in Kürze
- Verteidigung fordert Freispruch für heute 93-jährigen ehemaligen KZ-Wachmann.
Der Angeklagte selbst entschuldigte sich danach vor dem Landgericht der Hansestadt für die Gräuel und Verbrechen in Stutthof. «Heute möchte ich mich bei denen, die durch diese Hölle des Wahnsinns gegangen sind, und deren Angehörigen, entschuldigen - so etwas darf niemals wiederholt werden», sagte Bruno D. in seinem letzten Wort.
Er selbst habe dort jedoch nicht freiwillig gedient, ergänzte der 93-Jährige. «Ich möchte nochmals betonen, dass ich mich niemals freiwillig zur SS oder auch sonst einer Einheit gemeldet hätte, erst recht nicht in einem KZ.» Er habe erst durch den Prozess von dem wahren Ausmass der im Lager verübten «Grausamkeiten» erfahren. Er hätte zudem «mit Sicherheit» die Chance genutzt, sich dem Dienst wieder zu entziehen, sofern dieses möglich gewesen wäre.
Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrem Plädoyer vor rund zwei Wochen drei Jahre Jugendhaft für den Angeklagten gefordert. Dieser soll im Alter von 17 bis 18 Jahren in der Endphase des Zweiten Weltkriegs mehrere Monate als SS-Wachmann im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig verbracht haben, wo die SS mehr als hunderttausend Gefangene unter bewusst katastrophalen Bedingungen festhielt, um sie so zu ermorden.
Viele der Gefangenen in Stutthof waren Juden, das Lager diente auch als Vernichtungslager. Dort gab es eine Gaskammer, einen mobilen Gaszug sowie eine getarnte Genickschussanlage, um Lagerinsassen im Rahmen vorgetäuschter angeblicher medizinischer Untersuchungen zu töten. Unzählige NS-Opfer starben dort ausserdem an Krankheiten und Unterernährung sowie durch Sklavenarbeit und Folterungen des Wachpersonals.
D. wird Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen vorgeworfen. Laut Anklage soll er den Massenmord in dem Lager durch seinen Einsatz als Wachmann unterstützt haben. Dabei geht es um den mutmasslichen Dienst auf den Wachtürmen, eine direkte Beteiligung an Tötungen steht nicht im Raum. Ein Urteil will das Gericht am Donnerstag verkünden.
D.s Verteidiger Stefan Waterkamp sagte in seinem Plädoyer, der zur Tatzeit 17- und 18-jährige Angeklagte habe angesichts der damaligen Umstände letztlich keine Wahl gehabt. «Er sah keinen Ausweg.» Seine Verfassung dürfe nicht mit den heutigen Massstäben beurteilt werden. So sei auch der Dienst in einem vom Staat betriebenen KZ nach der damals noch vorherrschenden Auffassung an sich «kein Verbrechen» gewesen. Der Befehl dazu sei ihm daher «alternativlos» erschienen.
Dass D. damals von Möglichkeiten einer Rückversetzung zur Wehrmacht gewusst habe, bezweifelte der Anwalt. Sein Mandant habe sich damals nach Abkommandierung in das Lager in einer ihm völlig unbekannten Situation befunden. Es sei nicht zu erwarten, dass ausgerechnet ein Jugendlicher unter dem Umständen in einem KZ «aus der Reihe tanzt».
Im Einzelnen sei auch unklar, was sein Mandant genau von den Morden und Bedingungen im Innern des Lagers mitbekommen habe, für das eine gesonderte SS-Einheit zuständig gewesen sei. Es stehe auch insgesamt völlig ausser Zweifel, dass die Verbrechen der NS-Zeit «unbegreiflich und unverzeihlich» seien, sagte Waterkamp. Die Berichte der Opfer vor Gericht hätten alle - auch seinen Mandanten - «schwer erschüttert».
Er forderte er einen Freispruch. Hilfsweise sprach er sich für eine Bewährungsstrafe nach Jugendstrafrecht aus, sofern es doch zu einer Verurteilung kommen sollte. Eine Gefängnisstrafe sei mit Blick auf die Schwere der Schuld seines Mandanten nicht angemessen und diesem angesichts seines hohen Alters auch nicht zuzumuten. D. würde eine Haftstrafe «vermutlich nicht überleben», sagte der Verteidiger.