Die Regionen sollten im Bundesrat angemessen vertreten sein. Mit dem Rücktritt des Zürchers Ueli Maurer melden Kantone Nachholbedarf an.
Bundesratsfoto 2022
Die amtierenden Bundesräte stehen auf ihrer Heimatregion innerhalb der Schweiz, auf dem offiziellen Bundesratsfoto 2022. - Schweizerische Bundeskanzlei / Nau.ch

Das Wichtigste in Kürze

  • Verschiedene Regionen beanspruchen «endlich wieder einmal» einen Bundesratssitz.
  • Sind diese Begehrlichkeiten aber auch gerechtfertigt?
  • Teilweise ja, teilweise ist es auch eine Frage der Definition von Regionen.
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«Als Bundesrat hat man die Schweiz im Auge, nicht den Kanton», betonte Ueli Maurer bei seiner Rücktrittserklärung. Wie bei jeder Vakanz melden aber diejenigen Regionen sogleich Ansprüche an, die sich für bundesrätlich vernachlässigt halten.

Michèle Blöchliger Zentralschweiz Bundesratskandidatur
In der Zentralschweiz sorgt man sich um die angemessene Vertretung der Region in der Landesregierung. - Nau.ch

«Wann sind wir endlich wieder Bundesrat?», titeln die Zentralschweizer Zeitungen. «Der Koloss will um seinen Sitz kämpfen», glaubt indes der «Walliser Bote», und meint damit den Kanton Zürich.

Regionen unterschiedlich stark im Bundesrat vertreten

Bloss nicht schon wieder ein Berner, finden vor allem solche östlich des Brünig. Wer aber kann tatsächlich einen «Anspruch» auf einen Bundesratssitz herleiten? Immerhin heisst es in der Bundesverfassung, die Landesgegenden sollten angemessen vertreten sein.

«Angemessen» ist indes ein dehnbarer Begriff. Viele Kandidaten betonen jeweils, sie sähen sich als Vetreter einer ganzen Region, nicht nur eines Kantons. Gerne werden darum die vom Bundesamt für Statistik definierten Grossregionen herangezogen. Verrechnet man deren Bevölkerungszahlen mit der Verteilung der bisherigen 119 Bundesratssitze zeigt sich tatsächlich eine ungleiche Verteilung.

Bundesratssitze Regionen Kantone
Die Verteilung der 119 bisherigen Sitze im Bundesrat auf die BfS-Grossregionen und deren rechnerischer Anspruch auf eine Vertretung in der Landesregierung. - Nau.ch

Stark übervertreten ist unter anderem das Tessin mit acht Bundesräten, obschon ihm rein rechnerisch nur knapp fünf zugestanden hätten. Grund ist hier natürlich, dass gemäss Bundesverfassung auch die Landessprachen «angemessen» zu berücksichtigen sind. Klar untervertreten war seit 1848 dagegen die Nordwestschweiz: Gleich viele Bundesräte wie das Tessin, aber mehr als drei Mal so viele Einwohner.

Bern und Zürich ziemlich ausgeglichen

Als eigene Grossregion geführt wird der Kanton Zürich. Dieser war zwar fast durchgehend im Bundesrat vertreten, aber nach dieser Rechenmethode erhielt er sogar einen Sitz zu wenig. Deutlich übervertreten ist aber der «Espace Mittelland» mit dem Schwergewicht Bern und den kleineren Freiburg, Neuenburg, Jura und Solothurn. Sie vereinigen 33 Bundesräte auf sich, das sind sieben mehr als bei knapp 1,9 Millionen Einwohnern «angemessen» wäre.

Didier Burkhalter Perron Neuenburg
Der Bundespräsident von 2014, Didier Burkhalter, wartet am Bahnhof Neuenburg auf seinen Zug zur Arbeit – ein Foto, das um die Welt ging. - Serge Jubin

Bei genauerer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass Bern dazu gar nichts beiträgt. «Schuld» ist vor allem Neuenburg, welches mit neun Bundesräten bei 173'000 Einwohnern um mehr als das Dreifache überzieht. Die Urkantone Uri, Schwyz sowie Ob- und Nidwalden stellten trotz 279'000 Einwohnern zusammen erst einen Bundesrat.

Zentral- und vor allen Nordwestschweiz benachteiligt

Obwohl zur Zentralschweiz auch noch Luzern und Zug ihre insgesamt sieben Bundesräte anrechnen lassen können, besteht immer noch ein Defizit. Wenn auch ein kleineres als bei den beiden Basel und dem Aargau. Wenn Kandidaturen aus diesen Regionen mit einer angemessenen Vertretung aller Landesgegenden begründet werden, liegen sie also nicht völlig daneben.

Sollte die SVP für die Nachfolge von Ueli Maurer mindestens eine Frauenkandidatur präsentieren?

Immerhin gibt es auch noch fünf Kantone, die noch kein einziges Mal im Bundesrat vertreten waren. Bei Uri und Nidwalden mit je rund 40'000 Einwohnern wird es rein rechnerisch und ohne «halbe Bundesräte» allerdings etwas schwierig. Die Beispiele und Rechenspiele zeigen aber auch, dass die Geltendmachung eines Anspruchs keine exakte Wissenschaft ist.

Felix Calonder Bundesrat Rätoromanisch
Felix Calonder wurde 1913 als erster Rätoromane in den Bundesrat gewählt. - Schweizerische Nationalbibliothek

Eine Nidwaldnerin kann sicher auch den Kanton Luzern vertreten, bei einer Oberwalliserin und dem Kanton Genf ist dies weniger gegeben. Der Kanton Neuenburg, der den Bernern die Statistik vermiest, sollte wohl eher zusammen mit welschen Kantonen betrachtet werden.

Wer vertritt das Volk wirklich?

Schon im Vorfeld von früheren Bundesratswahlen wurde diskutiert, ob die Kantonszugehörigkeit ein wirklich relevantes Kriterium sein soll. So wurde auch schon festgestellt, dass eine Mehrheit der Landesregierung aus kleineren (Land-)Gemeinden stammte. Das bilde die Verhältnisse in der Bevölkerung aber nicht adäquat ab.

Statt der BfS-Grossregionen, wo Schaffhausen und Graubünden in einen Topf geworfen werden, könnte man geradeso gut alternative Kantonsgrüppchen bilden. In einen Topf gehören doch, wenn überhaupt, Bern und Luzern, alleine schon des Reimes wegen. Solothurn schlagen wir zur Nordwestschweiz, Zürich wird ergänzt mit den Nachbarkantonen.

Bundesrat Sitze Kantone Regionen
Wählt man alternative Regionen für die Analyse der Verteilung der Bundesratssitze, ergeben sich andere Über- bzw. Untervertretungen.
Kantone Bundesratssitze Bevölkerung
Die 119 bisherigen Bundesratssitze verteilt auf die Kantone und deren theoretischen Ansprüche auf Vertreter in der Landesregierung gemäss Einwohnerzahlen.

Und warum nicht eine Südschweiz aus Wallis, Tessin und Graubünden? Tourismus und Tunnels und alle vier Landessprachen – passt doch super.

So betrachtet ist (natürlich) die sprachliche Minderheit in der Romandie übervertreten, Bern dagegen wird rehabilitiert. St. Gallen wird von den beiden Appenzell überrepräsentiert und die Innerschweiz soll jetzt mal nicht so tun.

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