Alexi Zentner schreibt über das weisse, rassistische Herz Amerikas. Das gelingt ihm überraschend differenziert und facettenreich.
Der Roman «Eine Farbe zwischen Liebe und Hass» von Autor Alexi Zentner. Foto: Suhrkamp Verlag/dpa
Der Roman «Eine Farbe zwischen Liebe und Hass» von Autor Alexi Zentner. Foto: Suhrkamp Verlag/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Kann man aus einer rassistischen Familie stammen und trotzdem ein guter Mensch sein? Das ist die zentrale Frage in Alexi Zentners Roman «Eine Farbe zwischen Liebe und Hass».
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Das Thema Rassismus wurde in der Literatur schon vielfach verarbeitet. Doch die Perspektive, die der US-amerikanische Autor («Die Hummerkönige») hier anbietet, ist ungewöhnlich und spannend. Denn in den Mittelpunkt stellt er einen 17-jährigen Jugendlichen aus der literarisch eher selten gewürdigten weissen Unterschicht. Dieser sympathische junge Mann sieht sich in Familie, Sportverein und Schule widerstreitenden Loyalitäten, Werten und Einflüssen ausgesetzt, an denen er zu zerbrechen droht. Ein persönliches Drama beschleunigt seinen schmerzhaften Selbstfindungsprozess.

Jessup ist begabt, fleissig und reflektiert. Er ist ein guter Football-Spieler und träumt vom College. Doch leider hat er einen entscheidenden Makel: Er kommt aus dem falschen Stall. Seine bunt zusammengewürfelte Patchwork-Familie lebt in einer Wohnwagensiedlung und gilt als «White Trash». Schlimmer aber noch ist ihr Ruf als eingefleischte Rassisten und überzeugte Anhänger der «Heiligen Kirche des Weissen Amerika».

Nach dem gewaltsamen Tod zweier schwarzer Studenten müssen der Stiefbruder und Stiefvater ins Gefängnis. Der Stiefvater versucht nach der Haft mühsam wieder in der Gesellschaft Fuss zu fassen. Seinen Glauben an «harte Arbeit, Disziplin, Jesus Christus und die Familie» hat er noch nicht verloren. Doch er sieht sich auf der falschen Seite der Geschichte.

Jessup liebt seinen Stiefvater, doch genauso auch die Tochter seines Footballtrainers, ein schwarzes Mädchen. Das ist ein Dilemma, steht die Beziehung doch im krassen Widerspruch zu den rassistischen Vorstellungen seiner Familie. Misstrauen schlägt Jessup aber auch von der anderen Seite entgegen. Der Junge kann noch so sehr beteuern, sich seit Jahren von der White-Power-Kirche fernzuhalten, ihre hetzerischen Botschaften zu meiden. Dem Sohn eines verurteilten Rassisten traut man doch nicht wirklich.

Vor diesem Hintergrundszenario entfaltet sich das Drama des jungen Mannes. Es beginnt mit einem Football-Spiel, bei dem Jessup den jungen schwarzen Spieler Corson schwer verletzt. Der will sich rächen und lauert seinem Gegenspieler nach einer Party auf. Es kommt zu einem Unfall, bei dem Corson stirbt. Jessup will die Tragödie vertuschen, doch die White-Power-Kirche instrumentalisiert die Geschichte flink für ihre Zwecke. Ihr charismatischer Einpeitscher Brandon stilisiert Jessup zum Opfer einer Hexenjagd «studierter Trottel» und «radikaler Liberaler». Die Medien nehmen den Fall dankbar auf und Jessup sitzt in der Falle.

Der Roman ist lesenswert, da er auf eine platte Schwarz-Weiss-Zeichnung zugunsten einer differenzierten Darstellung in vielen Grautönen verzichtet. Rassisten sind hier keineswegs nur böse, sondern eben auch pflichtbewusste Staatsbürger und treusorgende, liebevolle Ehemänner und Väter. Sehr glaubhaft vermittelt das Jessups Stiefvater, der seine Familie über alles stellt. Er entfremdet sich vom Staat aus Enttäuschung und einem Gefühl tiefer Missachtung durch die Elite: «Aber um uns kümmert sich keiner, weil wir arm und weiss sind.» So spricht der typische Trump-Wähler.

Ganz im Gegensatz zu dem üblichen abfälligen Klischee herrscht in dieser Unterschicht-Familie keinesfalls Vernachlässigung, sondern liebevolle, herzliche Verbundenheit. Umso authentischer wirkt dadurch auch der jugendliche Held in seiner inneren Zerrissenheit. Er wird zu einer echten Identifikationsfigur.

Sprachlich allerdings hätte man sich deutlich mehr von einem routinierten Autor wie Zentner erwartet. Die Kunst der Andeutung oder vorsichtigen Anspielung wird oft zugunsten der Holzhammermethode zurückgestellt, bis auch der letzte Leser die Botschaft verstanden hat. Auch seinem Plot scheint der Autor nicht so richtig zu trauen. Der thrillerhafte Showdown und der unglaubwürdige Epilog wären jedenfalls nicht nötig gewesen.

- Alexi Zentner: Eine Farbe zwischen Liebe und Hass, Suhrkamp Verlag, Berlin, 376 Seiten, 18,00 Euro, ISBN 978-3-518-46996-5.

© dpa-infocom, dpa:200616-99-439823/4

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