Der «Simplicissimus» als Bildband-Reprint

Das Wichtigste in Kürze
- «Sogar die Vogelscheuchen sind aus Marmor!» Volkes Stimme beim Anblick der überlebensgrossen Statuen der preussischen Herrscher in der «Siegesallee» im kaiserlichen Berlin.
Eine Karikatur von 1908 in der Satirezeitschrift «Simplicissimus», die die Auswüchse der wilhelminischen Monarchie ebenso wie die grassierende Beamten- sowie Militärhörigkeit und -verherrlichung, den deutschen Spiesser, bigotte kirchliche Amtsträger, aber auch die sich anbahnende Frauenemanzipation auf die satirisch-kritischen Hörner nahm. Damit zog die Zeitschrift natürlich immer wieder den Zorn der Obrigkeit und ihrer staatlichen Zensur auf sich.
Aber je heftiger die Zensur, umso grösser das Spektakel und die darauf - nach dem vorläufigen Verbot - folgende Auflagensteigerung. Und überhaupt galt das Motto von Karl Kraus: «Satire, die der Zensor versteht, gehört zu recht verboten.» Die Zeitschrift mit zum Teil namhaften Zeichnern und Autoren hielt unbeirrt durch. Die Leser sollten ihre diebische Freude daran haben, und die Leser waren in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kreisen zu finden, nicht nur in Kaffeehäusern, sondern auch in Offizierscasinos. Eine Auswahl der Karikaturen der Satirezeitschrift, die teilweise vielleicht mit «Pardon» in der Bundesrepublik ab den 60er Jahren vergleichbar war, ist jetzt in dem grossformatigen Bildband-Reprint «Simplicissimus 1896-1933» versammelt, der bei LangenMüller erschienen ist, herausgegeben von Reinhard Klimmt und Hans Zimmermann.
Wer es nicht glaubt, schlage im «Simplicissimus» nach und es war kein Witz: es gab einmal ein nach der Reichsgründung 1871 von Bismarck initiiertes Diäten-Verbot für Reichstagsabgeordnete, das jegliche finanzielle Entschädigung der Parlamentarier, einschliesslich Reisekosten, untersagte. Entsprechend leere Bankreihen im Parlament zeigt die «Reichstagsplenarsitzungsidylle» im «Simplicissimus» von 1897. Man traf sich lieber in Baden-Baden, dem Lieblingsaufenthalt von Alt-Kaiser Wilhelm I. Das hinderte aber damalige, vermutlich gesittete und der Oberschicht angehörende Reichstagsabgeordnete nicht vor handgreiflichen Auseinandersetzungen, was die deutschen Leser eigentlich nur in südlichen und lateinamerikanischen Ländern vermuteten. Der Zeichner Olaf Gulbransson zeigte 1902 den Übergang von heftigen verbalen Attacken zu handgreiflichen Tumulten im Hohen Haus.
Andere Themen, die die Satirezeitschrift aufspiesste, waren unter anderem 1912 ein «Bund zur Bekämpfung der Frauenemanzipation» (ja, so etwas gab es wirklich) sowie die gigantisch wachsenden Rüstungsausgaben des Kaiserreiches, die zeitweise 75 Prozent des gesamten Staatshaushaltes ausmachten (der Kaiser wollte partout die Kriegsflotte auf das Niveau der imperialen Seemacht England heben). Auch die Sittenzensur war Zielscheibe, was Goethe in einer Karikatur von Bruno Paul veranlasste, den Zensor zu bitten: «Verbieten Sie ein Stück von mir, werter Freund, damit ich bei den Deutschen wieder populär werde» - so wie «Simplicissimus». Auch der aufkommende «Kintopp» mit seinen Stummfilmen mit Musikbegleitung (live) wurde natürlich satirisch begleitet - «Ah, jetzt spielen se Orjel - da jibt's bald 'ne Leiche», hiess es da im Zuschauerraum von einem schon geübten Kinogänger.
Im Ersten Weltkrieg wie auch später in der Hitler-Zeit gibt der «Simplicissimus» seine Oppositionsrolle auf, wie sie eigentlich einer Satirezeitschrift zusteht. Obwohl die Auswahl in diesem Band 1933 endet, fallen die ungewöhnlich zahlreichen Karikaturen mit antisemitischer Thematik auf, die hier unnötigerweise auf über 20 Seiten dokumentiert werden. Nach 1918 ist dem Satireblatt das eindeutige Feindbild abhandengekommen (wie es eines Tages in der Bundesrepublik auch «Pardon» gehen wird). «Man muss nun nach rechts und nach links austeilen», heisst es in den Erläuterungen in der Reprintausgabe.
Am Ende siegt die diktatorische und rassistische Bewegung der Nazis. «In meinem Staate kann jeder nur nach meiner Facon selig werden», sagt ein schwarz-roter Hitler mit Hakenkreuzaugen und einem Friedrich dem Grossen im Hintergrund (der ja genau das Gegenteil propagierte - «In meinem Staat kann jeder nach seiner Facon selig werden») in einer Karikatur von 1932 von Karl Arnold mit der Unterzeile «Heil Preussen!». 1944 geht der «Simplicissimus» an banalem Papiermangel zugrunde, der nur noch Propagandainstrument der Nazis war wie alle Medien im Dritten Reich.
Einige Wiederbelebungsversuche nach 1945 blieben ohne grössere und langanhaltende Resonanz. Umso verdienstvoller ist die Online-Edition der vollständigen Jahrgänge 1896 bis 1944, herausgegeben unter anderem von der Klassik Stiftung Weimar und der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Verbindung mit dem Deutschen Literaturarchiv Marbach. Hier sind auch die in der Reprintausgabe ausgesparten Beispiele aus der NS-Zeit zu finden.
- Simplicissimus 1896-1933, Herausgeber Reinhard Klimmt und Hans Zimmermann, LangenMüller, Stuttgart, 288 Seiten Grossformat, 48,00 Euro, ISBN 978-3-7844-3437-7.