

Neu gebaut und schon geschlossen

Wenn es nach der Regierung und der vorberatenden Spitalkommission geht, gibt es in Wattwil kein stationäres medizinisches Angebot mehr. Sollte der Kantonsrat in der kommenden Session Mitte September diesen Vorentscheiden folgen, droht dem Toggenburg ein Versorgungsnotstand.
Der Wattwiler Arzt Uwe Hauswirth, Präsident des Toggenburger Ärztevereins (TÄV), Gemeindepräsident Alois Gunzenreiner, der auch die «Region Toggenburg» präsidiert, und Norbert Stieger, Vizepräsident des Fördervereins Regionalspital Toggenburg Wattwil (Pro Spital) sind enttäuscht und konsterniert. Sie sind überzeugt, dass es eine nachhaltige Alternative zur Schliessung des Spitals gäbe: Partner für eine Win-Win-Situation in einer «Private-Public-Partnerschaft» stehen bereit.
Alternative zur Spitalschliessung
Die Situation im Toggenburg mit seinen rund 35'000 Einwohnerinnen und Einwohnern ist speziell. Die Kumulation von Spitalschliessung, akutem Hausärztemangel, topografischer Weitläufigkeit und mangelnder Erreichbarkeit von Spitälern ausserhalb der Region würde in seiner medizinischen Grundversorgung zu einem Notstand führen.
Ein Grossteil der Bevölkerung würde von der Spitalversorgung abgehängt. Die Region hat in Eigeninitiative mehrere Alternativen zur Spitalschliessung präsentiert. Bislang leider ungehört.
Die Partner für eine wirtschaftliche Lösung «aus der Region für die Region» in Kooperation mit dem Kanton stehen nach wie vor bereit. Für eine Lösung mit fünf entscheidenden Vorteilen:
1. Verfassungsauftrag erfüllt, medizinische Grundversorgung gesichert
In Zusammenarbeit mit dem Spital als Ankerbetrieb mit stationärem Leistungsauftrag in Innerer und Altersmedizin können die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte in der Region die medizinische Grundversorgung sichern. Damit bleibt der verfassungsmässige Versorgungsauftrag des Kantons erfüllt.
2. Insgesamt kostengünstiger
Mit Blick auf die Gesundheitskosten insgesamt und auf die überkantonale Spitalversorgung kommt eine Lösung ohne weitere Finanzspritzen und Investitionen in Wil für die Steuer- und Prämienzahlerinnen und -zahler günstiger.
3. Nachhaltig wirtschaftlicher
Kann der aktuell modernste Spitalbau im Kanton weiter als Spital genutzt werden, können auch die weiteren erheblichen Investitionen von Kanton und Gemeinden im Toggenburg ihre volle Wirkung entfalten.
4. Wirklich fit für die Zukunft
Die st.gallische Region Wil mit ihren ebenfalls rund 35'000 Einwohnerinnen und Einwohnern ist mit den drei Kantonsspitälern St.Gallen, Frauenfeld und Winterthur in je 20 Minuten Entfernung sehr gut versorgt. Der Verzicht auf zusätzliche Investitionen ins sanierungsbedürftige Spital Wil macht den Weg frei für eine nachhaltige interkantonale Planung.
5. Zusammenhalt stärken
Eine Petition mit 6'000 Unterschriften, mehrere konkrete Lösungsvorschläge und Partner, die für eine Kooperation zum wirtschaftlichen Weiterbetreiben des Spitals bereitstehen: Nehmen Kanton und Regierung diese bislang ignorierte Eigeninitiative aus der Region auf, stärkt das den Zusammenhalt im Ringkanton.
Weshalb macht Ihnen die Schliessung des Spitals Wattwil Sorge?
Uwe Hauswirth: Das Spital Wattwil ist der Ankerbetrieb unserer Gesundheitsversorgung im Toggenburg. Ein Minimum an stationären medizinischen Leistungen ist zwingend notwendig, um die medizinische Grundversorgung zu gewährleisten. Ohne einen solchen Anker laufen wir in einen Versorgungsnotstand rein.
Offenbar darf es in Wattwil aus politischen Gründen einfach grundsätzlich kein Spital mehr geben. Das, was Regierung und Kommission wollen, ist keine Lösung. Das vorgesehene GNZ mit der skizzierten minimalistischen personellen und medizinischen Ausstattung ist völlig unzureichend.
Wie meinen Sie das?
Uwe Hauswirth: Der Kanton steht gemäss Kantonsverfassung in der Versorgungspflicht. Die Spitalvorlage weist den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten in den Regionen eine tragende Rolle zu. Wir vom TÄV wollen diese Rolle seriös wahrnehmen.
Doch ohne den Erhalt eines stationären Angebots an Innerer Medizin und Altersmedizin am Spital Wattwil sehen wir uns ausserstande, die Verantwortung für die medizinische Versorgung im Toggenburg mitzutragen. Beim kumulierten Ausfall der Leistungserbringer, also ohne Spital und mit zu wenig Hausärztinnen und -ärzten, lassen sich weder Versorgung noch Qualität weiter gewährleisten.
Es ist bereits absehbar, dass bei uns in Kürze nur noch 10 Hausärztinnen und -ärzte unter 65 Jahren tätig sind. Nur dank enger Zusammenarbeit mit dem Spital können wir heute die Grund- und Notfallversorgung für die Bevölkerung, die Arbeitnehmenden und den Tourismus noch sichern.
Ohne Spital geht das Fundament der engen Zusammenarbeit verloren. Und das Spital ist für die erfolgreiche Ansiedelung von Ärztinnen und Ärzten unabdingbar.
Die Regierung hat doch eine Lösung präsentiert: Die Spitalimmobilie soll an die Zuger Solviva AG verkauft werden, die darin ein Kompetenzzentrum für Spezialpflege betreiben soll …
Uwe Hauswirth: Wie gesagt: Das ist keine Lösung für die drohende medizinische Unterversorgung. Pflege ist keine Medizin, und Pflege ohne Medizin reicht nicht, um die medizinische Versorgung im Toggenburg zu ersetzen oder zu sichern.
Alois Gunzenreiner: Dazu kommt, dass alle Bedarfsanalysen klar zeigen: Für ein zusätzliches Pflegeangebot besteht kein Bedarf. Ein zusätzliches Angebot birgt die Gefahr von Überkapazitäten in den heute gesunden Pflegestrukturen und konkurrenziert die kommunalen Heime der Region – die Pflegebedürftigen sind schon heute in den bestehenden Institutionen gut versorgt.
Was würden Sie sich denn vorstellen?
Alois Gunzenreiner: Wir haben mehrere Lösungen präsentiert, etwa eine «Integrierte Gesundheitsversorgung» – von der Gesundheitsdirektorenkonferenz als Zukunftsmodell gepriesen und im Engadin bestens etabliert, in St.Gallen jedoch abgeschmettert. Wir haben Partner, die für eine alternative Lösung in Kooperation mit dem Kanton zur Verfügung stehen.
Diese Lösung wäre auf die Bedürfnisse vor Ort, auf Stärken und Kompetenzen ausgerichtet. Sie würde die medizinische Versorgung aus der Region für die Region sicherstellen.
Eine regionale Investorengruppe steht bereit, um die Spitalimmobilie gemeinsam mit der Gemeinde zu übernehmen. Die Regierung geht in der Botschaft von einem Verkaufserlös von 10 Mio. Franken aus und rechnet mit einer Abschreibung für den Wert der Spitalimmobilie von 45 Mio. Franken.
Das ist aber nicht von heute auf morgen zu haben …
Uwe Hauswirth: Alles, was es bräuchte, wäre eine Zusatzrunde, wie Regierung und Kommission sie für den Standort Walenstadt vorsehen, um die Lösung fertig auszuarbeiten. Die Bereitschaft für den Verzicht auf die sofortige Streichung und Schliessung des Spitalstandortes Wattwil, für einen Verkauf der Spitalimmobilie in der Region, für einen Betrieb in Kooperation mit neuen Leistungserbringern und für einen Leistungsauftrag mit einem Angebot an stationärer Medizin, das zu definieren wäre.
Der Kantonsrat müsste die Regierung nur dazu einladen, das ernsthaft zu prüfen. So eine Lösung tut den St.Galler Spitalverbunden nicht weh, das ist in der Summe unbedeutend.
Trotzdem nochmals: Weshalb wehren Sie sich immer noch, wenn doch eine Lösung auf dem Tisch liegt?
Norbert Stieger: Ich wiederhole es gerne nochmals: Wir brauchen zwingend ein stationäres medizinisches Basisangebot. Zudem ist das Ganze aus finanzieller und volkswirtschaftlicher Sicht völlig unverständlich.
Können Sie das erklären?
Norbert Stieger: Mit der einen Hand investiert der Kanton im Toggenburg in die Zukunft. Mit der anderen Hand will er nun das bereits für rund 60 Mio. Franken erneuerte Regionalspital für 10 Mio. Franken verscherbeln und den grössten Arbeitgeber im Toggenburg einfach zerschlagen. Damit würde nicht nur das bereits in die Erneuerung des Spitals Wattwil investierte Volksvermögen vernichtet, sondern auch der Nutzen der anderen Investitionen torpediert.
Als Stiftungsrat der St.Galler Pensionskasse sehe ich in Analysen, wie sensibel Immobilienmarkt und -preise reagieren. Doch das Tüpfchen aufs i ist: Gemäss Botschaft werden die Wattwiler Spitalbetten ja nicht einfach gestrichen – es braucht einen Grossteil weiterhin. Sie sollen einfach nach Wil verlegt werden; die marode Spitalregion Fürstenland-Toggenburg (SRFT) soll mit weiteren 56 Mio. Franken pseudosaniert werden – und am Spitalstandort Wil werden neue Investitionen von 170 Mio. Franken ins Auge gefasst.
Rechnet man das alles zusammen, kommt man auf mehr als 250 Mio. Franken. Das kann doch alles nicht wahr sein!
Und was wollen Sie tun, wenn der Kantonsrat der Schliessung des Spitals Wattwil zustimmt?
Alois Gunzenreiner: Wir haben uns – wie auch der TÄV – schon in der vorberatenden Kommission eingebracht und wenden uns nun nochmals mit einem eindringlichen Hilferuf an alle Kantonsratsmitglieder.
Uwe Hauswirth: Wir prüfen ein Referendum. Und man diskutiert hier im Toggenburg auch eine Gesetzesinitiative. Das scheint mir als allerletzte Möglichkeit durchaus realistisch.