«Frauen werden für Kinderlosigkeit auf der ganzen Welt kritisiert», schreibt Kolumnistin Verena Brunschweiger. Was steckt dahinter?
Verena Brunschweiger.
Verena Brunschweiger schreibt regelmässig auf Nau.ch Kolumnen. - zvg

Das Wichtigste in Kürze

  • Eine richtige Frau will und hat Kinder, findet beispielsweise Alice Weidel.
  • Damit ist Kolumnistin Verena E. Brunschweiger ganz und gar nicht einverstanden.
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Nirgendwo wird Antifeminismus unverhohlener zur Schau gestellt als bei der Diskriminierung von Frauen ohne Kinder. Und das leider nicht nur von maskulinistischer Seite, sondern auch von dauerempörten Mamis.

Von Müttern, denen die zahlreichen «Vergünstigungen», die sie aus allen möglichen Richtungen geschenkt bekommen, immer noch nicht genügen.

Hast du grundsätzlich Verständnis für kinderlose Menschen?

Dass man sich diesbezüglich mal beim Patriarchat beschweren könnte? Auf diese Idee kommen nur ganz wenige, schliesslich sind sie ja dankbar, dass es Männer gab, die sich für ihren Reproduktionswunsch als «Spermareservoir» (wie die grandiose französische Autorin Virginie Despentes schreibt) zur Verfügung stellten.

Anmassende Trullas

Da diese Gruppe also ausscheidet, wirft man mit Vorliebe diejenige Gruppe unter den Bus, die einem ohnehin auf die Nerven geht: Frauen ohne Kinder!

Ja, diese anmassenden Trullas, die sich einbilden, sie könnten sich einfach ihre Freiheit und Unabhängigkeit bewahren. «Das geht ja wohl mal gar nicht, denen muss schon eine Lektion erteilt werden», heisst es dann.

Vorteile für Eltern, das klappt schon seit dem Mittelalter am einfachsten, indem man die andere Gruppe abwertet und stigmatisiert. Und sich selbst einen völlig unverdienten Heiligenschein aufsetzt.

Abwertung Kinderfreier eine Erfolgsgeschichte

Diese erbärmliche Abwertung Kinderfreier ist eine Erfolgsgeschichte ohnegleichen. Denn: Patriarchat, rechte Parteien und so weiter unterstützen Leute in dieser Wahnvorstellung auch noch auf mannigfache Art und Weise. Und bei uns, anders als in progressiven Ländern wie Südkorea, liegt die Mehrheit bei den Kinderbesitzenden.

brunschweiger kolumne
Verena E. Brunschweiger ist Nau.ch-Kolumnistin. - zVg

Das führt auch dazu, dass Eltern ganz unverblümt zugeben, wofür sie ihre ach so geliebten Kinder instrumentalisieren: Sie sollen sich um sie kümmern, wenn sie alt sind. Sie sollen als Rentenzahler und Problemlöser herhalten. Sie sollen sogar die Karriere ihrer Erzeuger vorantreiben.

«Karriere dank Kinder!»

So existiert ein Buch, das allen Ernstes ein Aufkleber mit dem Slogan «Karriere dank Kinder!» ziert.

Wie aus diversen Online-Foren bekannt, werden dann im Buch tatsächlich vermeintliche Talente von Eltern aufgelistet. Dabei wissen wir von der wunderbaren Autorin Caitlin Moran, dass sie im Rahmen ihrer Mutterschaft nichts gelernt hat, was sie nicht mindestens so gut woanders hätte lernen können. Nämlich: Wenn man schon einen neuen Menschen erschaffen muss, um persönlich zu «wachsen».

Wie wäre es, für Lärmfreiheit zu sorgen?

Die verblüffte Leserin erfährt also im «Karriere-dank-Kinder-Buch», dass es eine Fertigkeit sei, die nur Eltern besitzen, wenn es um das Ignorieren unerwünschten Lärms geht.

Erstens ist das schlichtweg falsch. Zweitens fragt man sich natürlich, warum das eine Fähigkeit sein soll? Wie wäre es, für Lärmfreiheit zu sorgen? Kritik zu üben, wenn sich jemand unpassend aufführt?

Ähnlich erstaunlich ist der Punkt, dass angeblich nur Eltern die Kunst des Multi -Tasking beherrschen.

Es folgt eine lange Liste, und der Eindruck verhärtet sich unweigerlich: Entweder wird in typisch elternmässiger Anmassung einfach frech erfunden, dass NUR Eltern diese oder jene Fähigkeit besässen. Oder es geht um Skills, die gar keine sind!

Noch schlimmer sind allerdings handfeste Diskriminierungen, wie beispielsweise das Benachteiligen kinderfreier Bewerberinnen.

Da stellen dann Leute mit Kindern Personen ein, die auch Eltern sind. Aus diesem Grund!

Eltern finden andere Eltern sympathischer

Die neueste Forschung von Zachary und Jennifer Neal, einem Professorenpaar von der Michigan State University, bestätigt diesen Trend. Eltern fänden andere Eltern sympathischer, kompetenter und vertrauenswürdiger.

Vor allem kinderfreie Frauen (Überraschung!) werden hingegen als kälter wahrgenommen. Und von reaktionären Eltern mit den üblichen antifeministischen Schmähungen bedacht, die einem JD Vance entschlüpft sein könnten.

Eine richtige Frau hat Kinder

Denn, so Alice Weidel und Giorgia Meloni übereinstimmend: Eine richtige Frau will und hat Kinder!

Derart aggressive pronatalistische Propaganda auch von Frauen zu hören, betrübt schon enorm.

Weidel afd
Alice Weidel von der AfD. - Keystone

Daher verstehen sich die beiden auch so gut mit Elon Musk, der seine Ego Extension (= Sohn) sogar zu offiziellen Terminen mitnimmt, was immerhin Leuten wie Tillmann Prüfer (selbst Vater) von der «Zeit» negativ auffällt.

Fast immer sind es Rechtskonservative, die alle anderen zur Reproduktion drängen wollen. Dies, um mehr einheimische Kinder zu haben, die man so wunderbar benutzen kann, um Flüchtlinge draussen zu halten.

Auch als künftige Soldaten und Konsumenten sind sie wichtig.

Und was viele naiverweise nicht sehen: Musks Kinderschar wird vor der Umweltkatastrophe geschützt sein. Während die Kinder der anderen schwerst verschmutzte Luft atmen – und Kriege um Wasser und andere Ressourcen führen dürfen.

Den Spiess umdrehen

Es ist also allerhöchste Zeit, endlich den Spiess umzudrehen und Musk, von der Leyen und andere Superreiche mit gefühlt zwanzig Kindern mal zu kritisieren, statt unreflektiert zu beweihräuchern.

Auch die Politik ist gefordert. Es darf nicht sein, dass sich beispielsweise Referendarinnen in Deutschland schwängern lassen, um so eher an ihren Wunscheinsatzort geschickt zu werden.

Da kann von Wahlfreiheit wirklich keinerlei Rede mehr sein. Das erinnert eher schon an Fälle, in denen Mädchen und Frauen verheiratet und geschwängert werden, ob sie das wollen oder nicht.

Und immer im Kopf behalten, was Professor Paul Dolan in England herausfand: Frauen werden für Kinderlosigkeit auf der ganzen Welt ungefähr doppelt so stark wie Männer dafür kritisiert, wenn sie die Reproduktion verweigern.

Zur Person: Dr. Verena E. Brunschweiger, Autorin, Aktivistin und Feministin, studierte Deutsch, Englisch und Philosophie/Ethik an der Universität Regensburg. 2019 schlug ihr Manifest «Kinderfrei statt kinderlos» ein und errang internationale Beachtung.

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