Vielen Schweizern geht es im Alltag – salopp gesagt – «zu gut». Für den Nervenkitzel buchen sie darum bewusst Risiko-Ferien.
Schweizer
Gerade Personen, die im Alltag besonders frei und sicher sind, machen gerne risikoreiche Ferien. (Symbolbild) - pexels

Das Wichtigste in Kürze

  • Immer mehr Menschen aus wohlhabenden Ländern unternehmen gefährliche Reisen.
  • Viele Schweizer wandern sogar in gefährliche Staaten aus – gerade Rentner.
  • Einige Trends: Backpacken durch Afghanistan oder Couchsurfing im Iran.
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Erdbebengefahr? Kein Problem. Bei kleinen Fehltritten droht jahrelange Haft im Arbeitslager? Spannend!

Was bizarr klingt, ist ein bekanntes Phänomen: Viele Schweizer machen bewusst gefährliche Ferien.

Die deutsche Reisepsychologin Christina Miro erklärt gegenüber Nau.ch: «Es ist so, dass Personen aus wohlhabenden Ländern beim Reisen eher gezielt Gefahren suchen oder sie in Kauf nehmen.»

Bist du auf Reisen schon einmal in eine brenzlige Situation geraten?

Das treffe insbesondere auf Menschen mit hohem Freiheits- und Sicherheitsgrad im Alltag zu.

«Es ist kein Massenphänomen, aber doch deutlich häufiger bei bestimmten Gruppen zu beobachten», sagt die Expertin. «Etwa bei jungen Erwachsenen, Sinnsuchenden oder Personen in Umbruchsphasen.»

«Viele Schweizerinnen und Schweizer zieht es in gefährliche Regionen»

Ähnliches beobachtet Marianne Jenni. Sie ist seit Januar Direktorin der Konsularischen Direktion im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA).

Sie sagt zu «Swissinfo»: «Viele Schweizerinnen und Schweizer zieht es in gefährliche Regionen, um dort zu leben oder zu reisen.»

Rentner
Thailand ist ein beliebtes Auswanderungsziel für Schweizer Rentner. Abgebildet: der Schweizer Rentner Thomas Monsch mit seiner Partnerin.
Thailand
Auch in die Ferien reisen viele Schweizerinnen und Schweizer in das südostasiatische Land.
Thai
Es reisen so viele Schweizer nach Thailand, dass wir dort auch regelmässig negativ auffallen. Im Bild: Verhaftung eines Schweizers, der einem Thailänder ins Gesicht trat.
Thailand
Dieser Schweizer (32) wurde in Thailand festgenommen, nachdem er Kokain konsumierte.
Thailand
Show-Einlage mit Folgen: Nach seinem Wheelie auf einer Autostrasse wurde ein 22-jähriger Schweizer in Thailand festgenommen.

Das stelle das konsularische Personal vor Herausforderungen – gerade bei Vorbereitungen auf Umzüge. Rentnerinnen und Rentner, die besonders oft betroffen sind, müssten gut vorbereitet werden, so Jenni.

«Damit sie nicht unterschätzen, was bei einem Umzug ins Ausland auf dem Spiel steht.»

Bekannt ist etwa Thailand als beliebter Wohnort für Schweizer Rentnerinnen und Rentner. Auch als Ferientouristen besuchen so viele Schweizer das südostasiatische Land, dass wir dort inzwischen regelmässig negativ auffallen.

Suchst du in den Ferien den Nervenkitzel?

Das Ferienparadies selbst hat jedoch auch seine dunklen Seiten. So rät das EDA davon ab, den Süden des Landes zu bereisen.

Denn: In diversen Provinzen können dort «latente politische, ethnische und religiöse Spannungen unvermittelt aufflammen».

Vor wenigen Tagen sorgte zudem ein Fall aus dem westafrikanischen Land Niger für Schlagzeilen: Eine dort seit 15 Jahren wohnhafte Schweizerin wurde entführt. Von ihr fehlt seither jede Spur.

Bei den Tätern solle es sich laut lokalen Berichten um zwei bewaffnete Männer handeln. In dem Land entführen dschihadistische Gruppen gezielt Europäer für Lösegeldzahlungen in Millionenhöhe.

Backpacken durch Afghanistan und Couchsurfing im Iran

Reisebloggerin und Psychologin Barbara Horvatits-Ebner kennt einige Beispiele für risikoreiche Reisetrends unter Touris aus westlichen Ländern.

«Zum einen der Van-Life-Trend», sagt sie zu Nau.ch. «Also mit einem umgebauten Kastenwagen durch die Welt zu fahren – innerhalb Europas, bis nach Afrika, quer durch Südamerika etc.»

Ferien
Weitere Beispiele für Ferien mit einem gewissen Risiko: der Van-Life-Trend ...
Afghanistan
... Backpacking in Afghanistan ...
Iran
... Couchsurfing im Iran, wo es verboten ist ...
Berge
... Bergsteigen (hier ein Foto vom Mount Everest) ...
Nordkorea
... oder Nordkorea-Reisen.

Dabei gehe es darum, nur das Notwendigste mitzuhaben, frei und unabhängig zu sein, an wilden Orten aufzuwachen. «Es ist nicht per se gefährlich, aber doch wesentlich abenteuerlicher als feste Unterkünfte.»

Auch bekannte Berggipfel rund um den Globus würden Menschen anziehen, die sie unbedingt besteigen wollen.

Kannst du dir vorstellen, nach Afghanistan zu reisen?

Weitere Beispiele: «Kajakreisen, beispielsweise im Grand Canyon, Safaris, Vulkanexpeditionen, Antarktiserkundungen ... Erwähnenswert ist auch der Wunsch einiger Menschen, in besonders abgelegene oder krisenreiche Gegenden zu reisen.»

Da gebe es zum Beispiel Backpacken durch Afghanistan oder Couchsurfen durch den Iran, wo es verboten ist.

Selbst Naturkatastrophen schrecken Schweizer nicht ab

Auch von Naturkatastrophen lassen sich viele Schweizer nicht abschrecken. Das zeigte zuletzt das Beispiel Santorini. Die beliebte griechische Ferieninsel ist seit Wochen von Erdbeben betroffen.

Doch trotz erhöhter Gefahr bestätigten Schweizer Reisebüros dem Branchenmagazin «Travelnews», dass die Buchungen weder zurückgingen noch Reisen storniert wurden.

Santorini
Sogar Naturkatastrophen schrecken viele Schweizer nicht ab. Sie stornierten ihre Ferien auf Santorini trotz Erdbebengefahr nicht.
Santorini
Noch im Februar mussten zahlreiche Menschen von der griechischen Insel evakuiert werden.
Santorini
Die Gefahr ist noch nicht vollständig gebannt.
Santorini
Erst vor wenigen Tagen kam es erneut zu einer leichten Erschütterung.
Santorini
Die Lage hat sich inzwischen aber trotzdem entspannt.

Und für das wohl bekannteste Beispiel von gefährlichen Ferien müssen wir Schweizer nicht einmal die Landesgrenze überqueren. Die Berge kosten jedes Jahr zahlreichen In- und Auslandtouristen das Leben.

2024 erreichte die Zahl der tödlichen Unfälle bei Skitouren sogar den höchsten Stand der letzten fünf Jahre: 28 Menschen kamen ums Leben.

Dieses Jahr hat die Wandersaison gerade erst begonnen – und doch gibt es bereits erste Todesfälle. Vor wenigen Tagen stürzte ein Berggänger bei Walenstadt SG in den Tod. Er wurde nur 28 Jahre alt.

«Ferien» in Nordkorea

Was für einige ebenfalls unverständlich klingen mag: Pro Jahr reisen laut dem Asien-Reiseanbieter Tourasia 70 bis 80 Schweizerinnen und Schweizer (Zahlen von vor der Pandemie) nach Nordkorea. Die Diktatur ist für ihre Menschenrechtsverstösse bekannt wie kaum eine andere Nation.

Auch für Touristen können Fehltritte dort tödlich enden. Das zeigte 2017 der Fall des US-amerikanischen Studenten Otto Warmbier.

Nordkorea
Der US-Tourist Otto Warmbier wurde in Nordkorea zu 15 Jahren Arbeitslager verurteilt, weil er ein Plakat heruntergerissen haben soll. - keystone

Er soll in einem Hotel vor Ort versucht haben, ein Propagandaplakat zu stehlen. In der Folge wurde er zu 15 Jahren Haft im Arbeitslager verurteilt.

Mehr als ein Jahr später stellte sich heraus, dass Warmbier seit Haftantritt im Koma lag. Kurze Zeit später starb er zurück in den USA an den Folgen schwerer Hirnschäden.

Hast du schon einmal eine Diktatur besucht?

Klar – Feriendestinationen wie die Schweizer Berge oder Nordkorea sind nicht einfach grundsätzlich gefährlich. Aber: Fehltritte sind mit deutlich mehr Risiken behaftet als andernorts.

Was zieht die Schweizer trotzdem – oder gerade deshalb – so magisch an?

Risiko-Reisen sollen «innere Leere» füllen

Reisepsychologin Miro erklärt: «Der Reiz des ‹Anderen› und des Risikos dient oft dazu, aus der Komfortzone auszubrechen.»

Das gelte vor allem für Personen mit hoher Risikobereitschaft und Sensation-Seeking-Tendenz. Sensation Seeking (Deutsch: Sensationssuche) ist ein Persönlichkeitsmerkmal. Wer es hat, sucht stets neue, komplexe und intensive Eindrücke.

«Diese Personen neigen dazu, im Urlaub gezielt nach intensiven, neuartigen und teilweise riskanten Erfahrungen zu suchen», sagt die Expertin.

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Einige unternehmen Risiko-Reisen, um eine innere Leere zu füllen. (Symbolbild) - pexels

«Das umfasst beispielsweise Aktivitäten wie Bergsteigen, Wildwasser-Rafting oder Reisen in unbekannte, weniger erschlossene Regionen.»

Es gehe häufig um Selbstwirksamkeit, Abenteuerlust und eine Suche nach intensiven Reizen. «In der Psychologie sprechen wir hier auch von ‹Grenzerfahrungen› als Mittel zur Identitätsbildung.»

Kurz: gefährliche Reisen als Mittel zur Selbstfindung.

«In der Therapie taucht das Phänomen oft im Kontext von Selbstfindung, innerer Leere oder Übergangsprozessen auf.»

Reise-Experten beschwichtigen

Zurück zu den Beispielen. In Santorini hat sich die Situation inzwischen zwar wieder entspannt, aber Entwarnung gibt es immer noch nicht. Erst vor wenigen Tagen kam es erneut zu einem leichten Erdbeben.

In Nordkorea «sind Leute, die Nervenkitzel suchen, falsch. Das gibt es nicht», betont Stephan Roemer vom Asien-Ferien-Anbieter Tourasia gegenüber Nau.ch.

Wohin geht deine nächste Reise?

Beim Profil der Kundschaft erkenne das Reiseunternehmen, dass es «meist gut gebildete Leute sind, die schon eine grosse Reiseerfahrung aufweisen».

Er stellt zudem klar: «Eine Reise nach Nordkorea würde ich nicht als Ferien bezeichnen, sondern eher als eine Studienreise. Der Reisende setzt sich mit einem anderen politischen System auseinander.»

Für den Asien-Ferienanbieter Asia365 wiederum kommt «die Destination Nordkorea nicht infrage», wie Managerin Ruth Landolt zu Nau.ch sagt.

Töff
Viele Junge wollen auf ihren Asien-Reisen Motorrad fahren – davon rät eine Asien-Expertin aber ab. Abgebildet: Verkehr in Taipei, Taiwan. - keystone

Die meisten Reiseländer Asiens seien aber sicher.

«Die grössten Risiken, auf die wir Kunden hinweisen müssen, sind verkehrstechnischer Natur. Vor allem junge Leute wollen gerne vor Ort mit dem Motorrad fahren. Das ist gefährlich und wir raten davon ab.»

Und für Wander-Ferien in den Bergen gilt laut dem Schweizer Alpen-Club (SAC) unter anderem: gesund losmarschieren, die Tour sorgfältig planen, passende Ausrüstung und Schuhwerk, viele Pausen und auf dem Weg bleiben.

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