Junge Schweizer Familien werden zum Einkaufstourismus gezwungen

Das Wichtigste in Kürze
- Viele Schweizer tätigen ihre Einkäufe im grenznahen Ausland.
- Eine besondere Gruppe der Einkaufstouristen machen junge Familien aus.
- Sie sind aufgrund ihrer finanziellen Situation zum Einkaufstourismus gezwungen.
Der Schweizer Einkaufstourismus in Deutschland: Ein emotionales Thema!
Nau.ch berichtete vor einigen Tagen über tricksende Einkaufstouristen. Auch die «NZZ» nahm sich dem Thema an und begleitete zwei Personen, die regelmässig in Deutschland einkaufen.
Ein Mann im Pensionsalter versteht seinen Einkaufstourismus als Rebellion gegenüber dem System. Es sei sein persönlicher Protest gegen die hohen Preise in der Schweiz.
Zwei Jobs, kaum Geld
Eine junge Mutter dagegen überquert die Grenze aus finanzieller Notwendigkeit. Sie ist Kleinkindererzieherin, der Mann Landschaftsgärtner. Die Familie braucht den 13. Monatslohn, um ihre Rechnungen zu bezahlen.
Die Frau sagt: «Wir sind gezwungen, auf der anderen Seite der Grenze einzukaufen. Wir würden sonst finanziell abrutschen.»

Eine junge Familie, beide Eltern berufstätig – und trotzdem gezwungen, im Ausland einzukaufen? «Jede zehnte Familie lebt trotz eines Erwerbseinkommens unter dem Existenzminimum oder knapp darüber», sagt Niels Jost von Caritas Schweiz zu Nau.ch.
Die Gründe lägen auf der Hand: «Kinder – vor allem kleine – brauchen eine intensive Betreuung. Die Eltern müssen also entweder ihre Erwerbstätigkeit reduzieren oder hohe Kosten für die Kinderbetreuung in Kauf nehmen.»
Gehst du regelmässig im Ausland einkaufen?
Hinzu kämen zusätzliche Ausgaben für Wohnen, Ernährung, Kleidung oder Freizeitaktivitäten. «Einen Job zu haben, ist in der Schweiz noch lange keine Garantie dafür, dass man davon leben kann.»
Arbeit reduziere zwar das Armutsrisiko deutlich, sei aber längst kein garantierter Schutz. Jost: «8,3 Prozent aller Erwerbstätigen sind gemäss dem Bundesamt für Statistik von Armut betroffen oder bedroht. Das entspricht über 336'000 Personen.»
«Der Spardruck ist hoch»
Deshalb sagt auch Simon Bucher von der Heilsarmee über das Einkaufen im Ausland: «Aus der Erfahrung kann man sagen, dass viele diese Möglichkeit nutzen. Gewisse Produkte wie Hygieneartikel und auch Lebensmittel sind deutlich günstiger.»
Auch Ginetta Larose vom Dachverband Budgetberatung Schweiz weiss: «Der Spardruck ist bei vielen Haushalten gross.» Es sei daher nachvollziehbar, dass grenznah wohnende Personen zum Einkauf ins Ausland ausweichen.
Gemäss Larose verzeichnet die Budgetberatung Schweiz einen deutlichen Anstieg an Anfragen für Budgetberatungen. «Ein Trend, der auch auf die spürbar gestiegenen Lebenshaltungskosten zurückzuführen ist.»
Kein Wunder, denn: Bei den Berechnungen für Budgetbeispiele, die alle zwei Jahre aktualisiert würden, zeige sich ein klarer Anstieg beim Posten für Nahrungsmittel.
Dass gerade junge Familien zum Einkauf im günstigeren Ausland gezwungen sind, überrascht Larose nicht: «Kinder sind statistisch gesehen eines der grössten Armutsrisiken.»
Gerade bei den «Working Poor», also jener Gruppe, die trotz Erwerbstätigkeit als armutsgefährdet gilt. «Ein überdurchschnittlich hoher Anteil davon entfällt auf Familien mit drei oder mehr Kindern.»
Nicht für alle lohnt sich der Einkaufstourismus
Der Einkauf im Ausland ist für junge Familien zum Teil überlebensnotwendig. Nicht alle Betroffenen wohnen aber so grenznah, dass sich Einkaufstourismus für sie lohnt.
Wie könnten junge Familien denn sonst finanziell unterstützt werden? «Durch einen Ausbau der Prämienverbilligung oder durch einkommensabhängige Mietzinsbeiträge», sagt Niels Jost von Caritas.
Solche Massnahmen sind in der Schweizer Politik aber nur schwer umsetzbar und stehen in der politischen Agenda nicht weit oben.
Daher dürften weiterhin viele junge Schweizer Familien für ihren Einkauf ins grenznahe Ausland ausweichen.