Türkisches Parlament billigt Gesetz zur Freilassung tausender Gefangener

Das Wichtigste in Kürze
- Umstrittenes Gesetz schliesst politische Gefangene aus - Scharfe Kritik von Özdemir.
Mit der Annahme durch die Abgeordneten sei der Entwurf «zum Gesetz geworden», hiess es in einer offiziellen Twitter-Mitteilung des Parlaments in Ankara. Grünen-Politiker Cem Özdemir sowie mehrere Menschenrechtsgruppen kritisierten die Entscheidung, von der politische Gefangene ausgeschlossen sind.
Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Amnesty International stimmten am Montagabend 279 der Abgeordneten für das Gesetz, 51 dagegen. Kein einziger Änderungsantrag der Opposition sei angenommen worden, schrieb die Amnesty-Aktivistin Milena Buyum im Kurzbotschaftendienst Twitter.
Das von der Regierung eingebrachte Gesetz sieht die Freilassung von rund 90.000 Insassen aus überfüllten Gefängnissen wegen der Coronavirus-Pandemie vor. Ein Teil von ihnen soll vorzeitig aus der Haft entlassen werden, ein anderer Teil unter Hausarrest gestellt werden.
Von dem Gesetz ausgenommen sind politische Gefangene, die nach den umstrittenen Antiterrorgesetzen der Türkei angeklagt sind. Human Rights Watch und Amnesty hatten das Gesetz deshalb scharf kritisiert. Die Schriftstellervereinigung PEN hatte gefordert, angesichts der unhygienischen Zustände in vielen türkischen Gefängnissen auch inhaftierte Journalisten und Menschenrechtsaktivisten freizulassen.
Es sei richtig, die Gefängnisse in der Coronakrise zu entlasten, erklärte Özdemir am Dienstag. «Aber wenn Gewaltverbrecher auf freien Fuss kommen, während die demokratische Opposition für freie Meinungsäusserung weiterhin hinter Gittern bleibt, wird schnell klar, dass es bei dieser Massnahme nicht nur um Gesundheitsschutz geht.» Der Grünen-Politiker forderte die Bundesregierung auf, sich für die Freilassung der politischen Inhaftierten einzusetzen.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan lasse lieber «Kriminelle frei herumlaufen, als politisch Andersdenkende», kritisierte der Nahostexperte der Gesellschaft für bedrohte Völker, Kamal Sido.
Viele Menschen sässen nur deshalb in türkischen Gefängnissen, weil sie «ihre Rechte ausgeübt» hätten, sagte auch der Amnesty-Vertreter Andrew Gardner der Nachrichtenagentur AFP. Zu den politischen Gefangenen in der Türkei zählen etwa der Kunstmäzen Osman Kavala und der kurdische Politiker Selahattin Demirtas. Das neue Gesetz sei «ungerecht und illegal», sagte Demirtas' Anwalt, Mahsuni Karaman.
Stunden vor der Parlamentsdebatte am Montag hatte Justizminister Abdülhamit Gül den Tod von drei Gefängnisinsassen infolge einer Coronavirus-Infektion bekanntgegeben. Insgesamt haben sich den Angaben zufolge bereits 17 Freigänger aus fünf Gefängnissen mit dem neuartigen Virus angesteckt.
In der Türkei gibt es mehr als 61.000 Corona-Infizierte, etwa 1300 Menschen sind bislang an der vom Virus ausgelösten Lungenkrankheit Covid-19 gestorben. Wegen der Pandemie gelten in dem Land strenge Ausgangsbeschränkungen.