Hundertfacher Missbrauch: 20 Jahre Haft für Arzt gefordert

Im wohl grössten Prozess um Kindesmissbrauch in Frankreich mit 299 Opfern hat die Staatsanwaltschaft für den angeklagten Chirurgen 20 Jahre Haft gefordert. Der Angeklagte habe seine Opfer wie leblose Objekte behandelt und keinerlei Empathie gezeigt.
Dies sagte Staatsanwalt Stéphane Kellenberger im Landgericht im westfranzösischen Vannes, wie die Zeitung «Ouest France» aus dem Gerichtssaal berichtete. Erschwerend komme hinzu, dass der Angeklagte seine Rolle als Arzt ausgenutzt habe.
Er habe sich oft an noch unter Narkose stehenden Patienten oder Kindern vergangen, die sein Tun nicht als Missbrauch einsortieren konnten. Ausserdem habe der Mediziner die Lage an personell unterbesetzten Spitälern auf dem Lande ausgenutzt, sagte der Staatsanwalt, der den Angeklagten als «feige» bezeichnete.
Unfassbare Enthüllungen erschüttern Frankreich
Das Urteil wird Mittwoch (28.5.) erwartet. Der pensionierte Mediziner Joël Le Scouarnec (74) hat in dem Prozess gestanden, zwischen 1989 und 2014 insgesamt 158 Patienten und 141 Patientinnen im Durchschnittsalter von elf Jahren missbraucht zu haben.
Das Gerichtsverfahren erschüttert Frankreich, auch weil die Frage im Raum steht, weshalb die Gesundheitsbehörden den bereits 2005 wegen Kinderpornografie auf Bewährung verurteilten Arzt nicht früher stoppen konnten. Der Prozess habe gesellschaftliche und politische Fragen aufgeworfen und hoffentlich einen Wandel angeschoben, sagte Kellenberger.
Der Staatsanwalt sagte, die Zahl der Opfer des Chirurgen sei noch höher. Um den Prozess nicht zu verzögern, seien zunächst 299 Fälle angeklagt worden. Wahrscheinlich werde es wegen anderer Opfer ein weiteres Strafverfahren geben.