Jahrelang führten Investoren, Aktienhändler und Banken den Fiskus an der Nase herum und liessen sich Steuer-Milliarden erstatten, die nie gezahlt wurden. War das strafbar?
Der Bundesgerichtshof überprüft das erste Strafurteil zu den umstrittenen «Cum-Ex»-Deals. Foto: Christoph Schmidt/dpa
Der Bundesgerichtshof überprüft das erste Strafurteil zu den umstrittenen «Cum-Ex»-Deals. Foto: Christoph Schmidt/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Mit «Cum-Ex»-Geschäften prellten Investoren, Banken und Börsenhändler den Fiskus um etliche Milliarden Euro - am 28.
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Juli äussert sich der Bundesgerichtshof (BGH) erstmals dazu, ob sie sich damit strafbar gemacht haben.

Dann wollen die obersten Strafrichter in Karlsruhe über die Revisionen zweier Londoner Aktienhändler entscheiden, die das Landgericht Bonn zu Haftstrafen auf Bewährung verurteilt hatte. Das kündigte der Senatsvorsitzende nach der Hauptverhandlung am Dienstag an. (Az. 1 StR 519/20)

Eine Tendenz liessen die Richterinnen und Richter in der rund zweieinhalbstündigen Verhandlung nicht erkennen. An dem Verfahren ist auch die in den Cum-Ex-Skandal verwickelte Hamburger Privatbank M.M. Warburg beteiligt, die sich gegen die Einziehung von rund 176 Millionen Euro wehrt. Auch einer der Aktienhändler soll seinen Anteil an den Profiten zurückzahlen - 14 Millionen Euro.

Cum-Ex-Geschäfte heissen so, weil grosse Pakete von Aktien mit («cum») und ohne («ex») Dividendenanspruch rund um den Stichtag für die Ausschüttung in rascher Folge hin- und hergeschoben wurden. Die bewusst undurchsichtigen Transaktionen hatten nur ein Ziel: bei den Finanzbehörden möglichst grosse Verwirrung stiften. Mit diesem Trick liessen sich die Beteiligten im grossen Stil Kapitalertragssteuer erstatten, die nie gezahlt wurde. Die Gewinne wurden aufgeteilt.

Möglich machte das eine Gesetzeslücke, die 2012 geschlossen wurde. Bis dahin boomte das Cum-Ex-Geschäft jahrelang.

Inzwischen arbeiten mehrere Staatsanwaltschaften und Strafgerichte die komplexen Vorgänge auf. Das erste Urteil fiel im März 2020 in Bonn im Prozess gegen die beiden früheren Börsenhändler. Beide hatten für die inzwischen liquidierte Finanzberatung Ballance gearbeitet, die im Cum-Ex-Skandal eine zentrale Rolle spielte - und beteuern, sie seien nie auf die Idee gekommen, etwas Strafbares zu tun.

Das Landgericht hatte den einen Mann wegen Steuerhinterziehung verurteilt, den anderen wegen Beihilfe. Dabei rechneten die Richter beiden hoch an, dass sie den Ermittlern ausführlich die Geschäftspraktiken erläutert und damit neue Verfahren angestossen hatten. Auch die Anklage hatte keine höheren Strafen gefordert: Denn der «grösste Steuerraub der deutschen Geschichte» sei nicht von zwei Menschen, sondern von Hunderten begangen worden.

Zur Verhandlung nach Karlsruhe war nun keiner der beiden gekommen. Die Verteidiger des wegen Beihilfe verurteilten Mannes wollen erreichen, dass das Urteil aufgehoben wird. Bei dem anderen Mann geht es ausschliesslich um die angeordnete Einziehung.

Die Bundesanwaltschaft, die am BGH anstelle der ursprünglich anklagenden Staatsanwaltschaft auftritt, hält beide Revisionen im Wesentlichen für unbegründet und will nur kleine Korrekturen. Das Karlsruher Urteil werde zentrale Wegweisungen für die strafrechtliche Aufarbeitung des Cum-Ex-Skandals liefern, die noch in den Anfängen stecke, sagte ihr Vertreter, Oberstaatsanwalt Thomas Heise.

Warburg-Anwalt Ali Norouzi sagte nach der Verhandlung, die beiden Angeklagten hätten auf eigene Rechnung gehandelt, «nicht für die Bank». Ausserdem seien die Ansprüche aus einem Teil der Geschäfte zwischen 2007 und 2009 steuerrechtlich verjährt. Eine Einziehungsentscheidung komme deshalb nicht in Betracht.

Das sieht die Bundesanwaltschaft anders. Das gesamte Geschäftsmodell von Cum-Ex beruhe auf einem arbeitsteiligen Agieren einer Vielzahl von Marktteilnehmern, sagte Heise. «Insoweit sind alle Beteiligten an dieser Steuerhinterziehung strafrechtlich relevant beteiligt.»

Ursprünglich ging es im Bonner Prozess noch um vier andere Banken. Wegen des Ausbruchs der Corona-Pandemie musste das Gericht den Prozess allerdings abkürzen. Der Komplex wurde daher abgespalten.

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