Dieselkäufer warten dringend auf ein Grundsatz-Urteil zu ihren Ansprüchen im Abgasskandal. Jetzt hat VW schon wieder mit einem Vergleich eine wichtige BGH-Entscheidung verhindert. Die Richter finden trotzdem einen Weg, den Klägern den Rücken zu stärken.
Der Bundesgerichtshof fasst die illegale Abgastechnik in Diesel-Autos als Sachmangel. Foto: Julian Stratenschulte
Der Bundesgerichtshof fasst die illegale Abgastechnik in Diesel-Autos als Sachmangel. Foto: Julian Stratenschulte - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Der Bundesgerichtshof (BGH) springt klagenden Dieselkäufern zur Seite und meldet sich erstmals mit einer rechtlichen Einschätzung zu Wort.
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Demnach ist die illegale Abgastechnik in den Autos als Sachmangel einzustufen, wie das Gericht in Karlsruhe mitteilte.

Es kündigte dazu «in Kürze» die Veröffentlichung eines umfangreichen Hinweisbeschlusses vom 8. Januar an. Das Dokument sollte voraussichtlich allerdings erst Anfang kommender Woche online gestellt werden. (Az. VIII ZR 225/17)

Die stellen ausserdem klar, dass Händler betroffenen Neuwagenkäufern die Lieferung eines anderen Autos ohne das Problem nicht einfach verwehren können, nur weil das Modell nicht mehr hergestellt wird. Der Austausch könne höchstens daran scheitern, dass im einzelnen Fall die Kosten unverhältnismässig hoch seien.

Noch kein Urteil

Der 19-seitige Hinweisbeschluss gibt die vorläufige Einschätzung des Senats wieder und ist noch kein Urteil. Dennoch gehe davon für die unteren Instanzen eine Signalwirkung aus, sagte BGH-Sprecherin Dietlind Weinland. «Es ist zu erwarten, dass sie sich an dieser vorläufigen Rechtsauffassung orientieren werden.»

VW teilte mit, dies lasse noch keine Rückschlüsse auf die Erfolgsaussichten solcher Kundenklagen zu. Erst recht liessen sich daraus keine Folgerungen für die Erfolgsaussichten von Klagen gegen die Volkswagen AG ziehen, sagte ein Sprecher des Autokonzerns in Wolfsburg. Tatsächlich äusserten sich die Karlsruher Richter nur zu Ansprüchen, die Dieselkäufern gegen den Autohändler entstehen können.

Seltene Initiative des BGH

Dass der BGH von sich aus mit rechtlichen Hinweisen in die Initiative geht, hat Seltenheitswert. Anlass war die kurzfristige Absage einer Verhandlung am 27. Februar. An diesem Tag sollte eigentlich über die erste Klage im Zusammenhang mit dem Dieselskandal verhandelt werden, die es bis in die letzte Instanz geschafft hat. Dieser Termin ist laut BGH aufgehoben. Der klagende Käufer eines VW Tiguan habe seine zurückgenommen, weil sich die Parteien verglichen hätten.

Das bedeutet, dass der Kläger Geld bekommen hat. Verbraucheranwälte werfen den Autokonzernen schon länger vor, gezielt Vergleiche zu schliessen, um ein höchstrichterliches Urteil zu vermeiden. Mit dem Rückzieher wird das vorinstanzliche Urteil des Bamberger Oberlandesgerichts rechtskräftig. Dort war der Käufer unterlegen.

Der Fall eines VW Tiguan

Der Mann wollte erreichen, dass sein Autohändler einen kurz vor Bekanntwerden des Abgasskandals 2015 neu gekauften VW Tiguan zurücknimmt und ihm dafür ein anderes Auto ohne das Problem gibt. Das wurde von den Gerichten mit der Begründung abgewiesen, dass der Fahrzeugtyp so nicht mehr hergestellt wird. Es sei deshalb gar nicht möglich, ein gleichartiges und gleichwertiges Auto zu liefern.

Diese Einschätzung hält der BGH für fehlerhaft. Ein «mehr oder weniger grosser Änderungsumfang» dürfte «für die Interessenlage des Verkäufers in der Regel ohne Belang sein», hiess es.

Dass ein Sachmangel vorliegen dürfte, begründen die Richter mit der Gefahr, dass die Behörden dem Käufer die Betriebszulassung entziehen. Damit fehle es «an der Eignung der Sache für die gewöhnliche Verwendung» - nämlich die Nutzung des Autos im Strassenverkehr.

Reaktionen auf das Urteil

Der begrüsste die Klarstellungen. «Damit ist in diesem Punkt endlich Rechtssicherheit geschaffen», teilte der Autofahrerclub mit.

Der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), Klaus Müller, sagte, nun sei klar, dass nach höchstrichterlicher Auffassung die Verwendung einer Abschalteinrichtung der Abgasreinigung nicht hinzunehmen sei. Die Äusserungen hätten auch Signalwirkung für die Musterfeststellungsklage von vzbv und ADAC gegen VW. Dabei soll es um Schadenersatzansprüche gehen. Inzwischen haben sich mehr als 400.000 Autobesitzer angeschlossen.

Ausserdem sind derzeit nach VW-Angaben bundesweit etwa 50.000 Kundenklagen anhängig, die die Volkswagen AG, eine Konzerngesellschaft oder einen Händler betreffen. 14.000 Urteile oder Beschlüsse seien ergangen, mehrheitlich im Sinne des Konzerns.

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