Seit dem Sturz von Diktator Muammar al-Gaddafi wütet in Libyen ein Bürgerkrieg. Friede ist nicht wirklich in Aussicht.
Konflikt in Libyen
Kämpfer der international anerkannten Regierung während der Gefechte mit Truppen der Libysch-Nationalen Armee (LNA). Im vergangenen Monat gab der libysche General Haftar seinen Truppen den Befehl zum Angriff auf die Hauptstadt Tripolis, wo die international anerkannte Regierung ihren Sitz hat. - DPA

Das Wichtigste in Kürze

  • Seit 2011 herrscht in Libyen ein Bürgerkrieg.
  • Der Sturz Gaddafis destabilisierte das nordafrikanische Land.
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Alle liebten sie ihn – den libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi. Der ehemalige italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi, der Schweizer Soziologe Jean Ziegler oder Russlands Präsident Wladimir Putin. Doch die Unterstützung hielt nicht ewig.

2011 endete die Herrschaft von Muammar al-Gaddafi, doch Libyen blieb instabil. Heute wütetet im Land ein wüster Bürgerkrieg. Die anerkannte Regierung führt Krieg gegen einen abtrünnigen General, der Islamische Staat mischte im Konflikt ebenfalls mit. Ein Ende des Bürgerkriegs im nordafrikanischen Land ist nicht in Sicht.

Libyen Karte
Libyen liegt in Nordafrika. - mapchart.net

Der Staat wurde 1951 als Königreich gegründet. Idris I. wurde von den Briten als dessen König eingesetzt. Zuvor befand sich das Land mal unter türkischer, italienischer oder britisch-französischer Herrschaft.

Das Land, das zu grossen Teilen aus Wüste besteht, war wirtschaftlich abgehängt. Der Grundstein des Staates legte die Entdeckung reicher Erdölvorkommen. Libyen stieg schnell zu einem der grössten Erdölexporteuren auf. Das spülte Geld in die klammen Staatskassen, doch das soziale Gefälle wurde nicht kleiner.

Keine Parteien

Politische Parteien gab es im Königreich keine. Gegen Mitte der 60er Jahre baute das Regime das Land weiter um. Föderale Strukturen wurden zugunsten eines zentralistischen Systems verworfen. Die Bevölkerung war weiterhin unzufrieden.

Als König Idris zwecks einer ärztlichen Behandlung das Land verliess, bestimmte er Kronprinz Hasan Rida zum Regenten. Das Militär nutze das Machtvakuum aus. Offiziere unter Gaddafi putschten am 1. September 1969 unblutig und installierten in Libyen eine Militärregierung.

Libyen
Muammar al-Gaddafi hält eine Rede 2011. - Keystone

Der neue Name lautete nun Libysche Arabische Republik. Die Ziele des jungen libyschen Staat: Sozialismus, die Verbreitung des Islams und die Einheit der arabischen Welt. Zu jener Zeit der Entkolonialisierung florierten die Ideen eines afrikanischen beziehungsweise arabischen Sozialismus.

Mit dem Regimewechsel änderte sich für die Bevölkerung einiges. Wegen der islamischen Ausrichtung wurde etwa der Verkauf von Schweinefleisch sowie der Verkauf von Alkohol verboten. Die Kathedrale von Tripolis wurde zu einer Moschee umgebaut.

Keine panarabische Union in Sicht

In Zuge des Putsches wurden die Erdölfirmen verstaatlicht. Verschieden Projekte zur Etablierung einer panarabischen Union scheiterten um 1970. Ende der 70er Jahre baute Gaddafi nun das politische System um.

Im Vordergrund stand eine Art Volksherrschaft. Über 1000 Delegierte waren dabei involviert. Jedoch blieb die Macht bei Gaddafi. Libyen hiess neu «Grosse Sozialistische Libysche Arabische Volks-Dschamahirija», wobei Dschamahirija mit Volksrepublik übersetzbar ist.

Libyen Gaddafi
Die Bildkombo aus Archivbildern zeigt den libysche Machthaber Muammar al Gaddafi bei Empfängen mit dem ehemaligen britischen Premierminister Tony Blair (oben, v.l., Foto vom 29.05.07), dem italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi (Foto vom 16.11.09), dem französischen Staatschef Nicolas Sarkozy (Foto vom 25.07.07), dem venezolanischen Staatspräsidenten Hugo Chavez (unten, v.l., Foto vom 28.09.09), den verstorbenen österreichischen Rechtspopulisten Joerg Haider (Foto vom 18.04.04) und mit dem damaligen deutschen Bundeskanzler Gerhard Schroeder (Foto vom 14.10.04). - Keystone

Bereits gegen Ende der 70er Jahre kam es zu Konflikten. So kämpfte Libyen kurzzeitig gegen Ägypten sowie gegen den Tschad. Es ging um Landteile. In den 80er Jahre wurde das Land auch international vermehrt wahrgenommen.

Gaddafi wurde eine Nähe zum internationalen Terrorismus nachgesagt. In Berlin etwa kam es 1986 zu einem Bombenanschlag in einer Diskothek, bei dem drei Menschen starben. Drahtzieher soll laut dem damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan der libysche Machthaber sein.

Entschädigung folgte deutlich später

2003 entschädigte dann die Gaddafi-Stiftung die Opfer und die Diskothek. In der Stellungnahme hiess es aber, dass diese «humanitären Initiative» kein Schuldeingeständnis sei.

Nur zwei Jahre nach dem Anschlag in Berlin kam es zum nächsten Eklat. Ein Flugzeug wurde über dem schottischen Ort Lockerbie gesprengt. Alle 258 Passagiere starben. Auch hier wurde Libyen verantwortlich gemacht.

Lockerbie Libyen
Eine Gedenkveranstaltung beim Dryfesdale Cemetery in Lockerbie wegen des Anschlags. - Keystone

Ein libyscher Geheimdienstoffizier wurde verurteilt. Ebenfalls 2003 übernahm Libyen die Verantwortung für das Handeln seiner Amtspersonen in Bezug auf den Lockerbie-Anschlag.

Der libysche Herrscher Gaddafi wurde als «Terrorpate» bezeichnet. Gruppen wie die deutsche Rote Armee Fraktion (RAF) oder die irische Irisch-Republikanische Armee (IRA) trainierten in Libyen.

Über Libyen solle auch Waffen von der Sowjetunion nach Palästina gelangt sein. Im Land selbst blieb es vorerst relativ ruhig. Die gesunde Wirtschaft und die Repression halfen dabei.

Sanktionen endeten 2003

2003 folgte das Umdenken. Gaddafi unterschrieb eine Erklärung für den Verzicht der Herstellung von Massenvernichtungswaffen. Damit wurden die Wirtschaftssanktionen, die 18 Jahre lang gültig waren, grösstenteils aufgehoben.

Damit wurden Gaddafi und sein Land wieder populär. Westliche Staatschefs wie der ehemalige britische Premierministers Tony Blair oder der ehemalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder besuchten den libyschen Machthaber.

Libyen Öl
Ein Porträt von Gaddafi und Schilder von Öl-Firmen. - Keystone

Dabei ging es auch um das Ölreichtum des afrikanischen Landes. Die Zeichen standen gut. Laut der deutschen «Tagesschau» war Libyen dank seiner Ölvorkommen das reichste Land Afrikas. Die Infrastruktur war gut ausgebaut, es gab auch einen umfassenden sozialen Wohnungsbau und eine Gesundheitsversorgung.

Doch rosig war bei weitem nicht alles. Die Menschenrechtsorganisation «Amnesty International» kritisierte das Land 2009 heftig.

So bemängelte die NGO etwa, dass Menschen, die ohne Gewalt ihre Meinung kundtun wollten, Haft- oder gar Todesstrafen drohten. Weiter wurde kritisiert, dass es «kein Recht auf Vereinigungsfreiheit» gebe.

Der Arabische Frühling blühte auf

2011 nützen die Sozialleistungen dem Machthaber aber nichts mehr. Im Dezember 2010 brachen in der arabischen Welt eine Serie von Protesten und Aufständen aus: der Arabische Frühling. Auch in Libyen ging die Bevölkerung auf die Strasse.

Im Februar 2011 kam es zu den ersten Massenprotesten gegen die Regierung. Auslöser war die Festnahme eines Menschenrechtsaktivisten. In der ostlibyschen Stadt Bengasi gingen Sondereinheiten der libyschen Polizei mit harter Gewalt vor.

Libyen
Am Boden des Leichenschauhauses vor dem Krankenhaus Al-Jalaa liegen gebrauchte Untersuchungshandschuhe, nachdem zahlreiche tote und verletzte Rebellenkämpfer eingeliefert wurden. - Keystone

Doch dies beruhigt die Lage nicht. Im Gegenteil. Demonstranten zündeten mehrere Regierungsgebäude an.

Der Versuch der Regierung, die Situation mittels der Freilassung von 110 politischen Gefangenen und einer Lohnerhöhung zu beruhigen, scheiterte.

In der Folge traten gegen Ende Februar Diplomaten im Ausland zurück, Piloten der Luftwaffe verweigern den Einsatz. In Bengasi wechselten Regierungskräfte die Seite, in der Hauptstadt Tripolis brannte ein Parlamentsgebäude.

Libyen fliegt aus dem Menschenrechtsrat

Rasend schnell schritt die Eskalation voran. Anfang März flogen Regierungstruppen Luftangriffe gegen die Rebellengebiete. Die Uno warf daraufhin Libyen aus dem Menschenrechtsrat.

Mitte März begann eine Koalition bestehend aus den USA, Grossbritannien und Frankreich mit Luftangriffen. Ziel waren Stützpunkte der Regierungstruppen. Im Mai kam es dann zu einer Art Stillstand.

Nato Libyen
Das Bild zeigt ein von Nato-Bomben zerstörtes Gebäude. - Keystone

Weder Rebellen noch Regierung erreichten einen Fortschritt. Im Juni kam ein weiterer Schlag für Gaddafi. Der Internationale Strafgerichtshof suchte den Machthaber per Haftbefehl. Ihm wurde etwa die Tötung von Zivilisten, Folter und die Organisation von Massenvergewaltigungen vorgeworfen.

Im Juli wurde auch die Nato kritisiert. Die Fronten standen still, doch die Nato-Bomben auf Tripolis töteten auch Zivilisten.

Zwischen August und Oktober verbuchten die Truppen der Rebellen Fortschritte. Am 20. September kam dann die Nachricht. Gaddafi wurde getötet.

Weitere Konflikte entstehen

Damit schien der Bürgerkrieg vorbei – doch dem ist nicht so. Zahlreiche regionale Konflikte entfachten sich nach dem Sturz der Gaddafi-Regierung.

Nun rivalisierten sich die revolutionären Kräfte, die einst gemeinsam Gaddafi stürzten. Auch dschihadistische Kräfte wurden aktiv. 2012 fanden Wahlen statt, die aber keine klaren Machtverhältnisse im Nationalkongresses zutage brachten.

Libyen Panzer Soldaten
Lybische Soldaten und Panzer. - Keystone

Die Übergangsregierung, die entstand, war nicht in der Lage, den Sicherheitsapparat erneut aufzubauen. So gab es auch Personen im «neuen» Sicherheitsapparat, die ihre eigenen Milizen ausrüsteten. In einzelnen Städten spitzte sich der Konflikt wieder zu.

Es kam zu Auseinandersetzung zwischen bewaffneten Gruppen, die staatliche Institutionen beeinflussen wollten. Die neue Regierung wurde weiter geschwächt. Die Wahlen von 2014 gaben den Ausschlag für eine erneute Eskalation.

Libyen «erhält» zwei Regierungen

Das damals neugewählte Repräsentantenhaus wurde aber nicht vom Nationalkongresses anerkannt. Kurzerhand bildeten der Nationalkongress eine Gegenregierung. Libyen hat seither quasi zwei Regierungen, eine im Westen und eine im Osten des Landes.

General Chalifa Haftar und sein Bündnis stehen auf der nationalistischen Seite, die Islamisten auf der anderen. Im Mai 2014 entwickelte sich der Konflikt in Bengasi zum nationalen Machtkampf.

Libyen
Der libysche Premierminister Fayez al-Sarraj, der französische Präsident Emmanuel Macron und der General Khalifa Haftar im Jahr 2017. - Keystone

Zwei Monate später schwappte der neu auflodernde Krieg auf Tripolis über. Verschärft wird die Lage, als der IS sich im Herbst 2014 ebenfalls in den Konflikt einmischte. Derweil gründeten die Tuareg inmitten des ganzen Chaos einen eigenen Staat.

2015 versuchte die UN, eine Versöhnung zwischen den beiden grossen Parteien zu erreichen. Eine sogenannte Einheitsregierung unter der Leitung von Fajes al-Sarradsch wurde gegründet. Diese war international anerkannt.

Kein Friede in Sicht

Seitdem hat sich die Lage etwas beruhig. So hat sich beispielsweise der islamische Staat teilweise aus Libyen zurückgezogen. Doch bis heute ist kein Frieden eingekehrt.

Im Westen hat Sarradsch offiziell die Macht. Doch auch er soll mit Milizen und kriminelle Banden mauscheln. Im Osten hingegen ist Haftar an der Spitze der Regierung. Die Situation spitzte sich im April dieses Jahres weiter zu.

Libyen Milizen
Milizen posieren. - Keystone

Haftars Truppen preschten gegen Tripolis vor, wo Sarradschs Regierung sitzt. Seitdem hat sich nicht viel getan. Im Hintergrund des Konflikts spielt auch die Auseinandersetzung zwischen Saudi-Araben und Katar eine Rolle.

Jede Seite hat ihre bevorzugten Machthaber, den sie stützt. Die Leidtragenden im Bürgerkrieg-geplagten Landes sind – wie so oft – die Zivilisten. Ein absehbares Ende des Konflikts ist weiterhin nicht in Sicht.

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