Ian McEwan bringt mit «Die Kakerlake» umstrittenes Buch zum Brexit

Das Wichtigste in Kürze
- Ian McEwan hat ein umstrittenes Buch zum Brexit geschrieben.
- Kakerlaken übernehmen in Grossbritannien die Macht, um Chaos anzurichten.
- «Die Kakerlaken» ist nun auch auf Deutsch erschienen.
Ian McEwan hat nicht den ersten Roman über den Brexit geschrieben, wohl aber die erste Groteske. «Die Kakerlake» ist teils zum Bersten komisch, aber auch zum Heulen tragisch - und nicht zu Unrecht umstritten. Nie zuvor ist der Erfolgsautor mit der Kritik an real existierenden Politikern derart an die Grenzen des guten Geschmacks gegangen. Oder gar darüber hinaus, wie manche Kritiker meinen.
Schaben an die Macht
Sechs Beine und zwei Fühler. Schaben (Blattodea), im Volksmund Kakerlaken, gelten als die ekelerregendsten Insekten. Nichts ist ihnen artfremder als Sauberkeit und geordnete Verhältnisse. In Fäulnis gedeihen sie.
Grossbritannien im Chaos, herbeigeführt durch eine absurde Politik. Aus einer funktionierenden, mit der EU vernetzten Wirtschaft eine grosse Maschine zur Geldvernichtung zu machen. Davon träumt die Kakerlaken-Unterwelt. Die Logik: im Chaos gibt es mehr Unrat, Schaben leben dann besser.
Und mit dieser Mission krabbelt einer der cleversten Sechsbeiner in die Downing Street Nr. 10. Er schlüpft in den Körper von Jim Sams, Premierminister des Vereinigten Königreichs und unnachgiebiger Kämpfer für den «Reversalismus». Franz Kafka lässt grüssen.
In seiner Erzählung «Die Verwandlung» wacht Gregor Samsa auf und stellt fest, dass er in ein Ungeziefer verwandelt wurde. Ian McEwan hat für seine Brexit-Novelle die umgekehrte Metamorphose gewählt - nicht Mensch zu Ungeziefer, sondern Ungeziefer zu Mensch.
Ian McEwan in Rage
Man kann beim Schreiben freilich auch in Rage geraten, besonders wenn Wut die Feder führt. Nicht genug damit, dass in Kopf und Körper des Premiers eine Kakerlake wohnt. Das ganze Regierungskabinett besteht aus Schaben auf zwei Beinen. Mit Ausnahme des Aussenministers.
Aber den stellt Boris, Verzeihung, Jim, bald mit einer Rufmordkampagne kalt. Sexuelle Belästigung. Frei erfunden zwar, aber wirksam. Sag #MeToo und der Mann ist erledigt.
Das Kakerlaken-Kabinett hat nun freie Bahn. Ausgerechnet der linksliberale «Guardian» hat sich blauäugig dafür einspannen lassen.
Kakerlaken-Vergleich als toxische Metapher
Im echten «Guardian» äusserte sich der irische Literaturkritiker Fintan O'Toole zu «Die Kakerlake». Er zweifelt, dass der 71-jährige Ian McEwan mit seiner scharfen Satire auch nur einen Brexit-Anhänger zum Besseren bekehre. «In der Ära von Donald Trump und Boris Johnson erschaffen die Herrschenden eigene Selbstparodien.» Und die Fans würden sie dafür bewundern.
O'Toole gibt zu bedenken: «Politische Gegner mit Kakerlaken zu vergleichen, ist eine toxische Metapher mit übler politischer Vorgeschichte. Es ist daher schwer, McEwans Novelle ohne ein gewisses Unbehagen zu lesen.»
Die den Tories nahe stehende konservative Wochenzeitschrift «The Spectator» rügte, es sei unangebracht, demokratisch gewählte Politiker als Kakerlaken darzustellen: «Das war das Wort, mit dem die Völkermörder in Ruanda ihre Anhänger zum Handeln aufriefen.»