Mit dem vitalen Organ Quartet des 76-jährigen Saxofonisten Oliver Lake ist am Sonntag das 44. Jazz Festival Willisau stimmig abgeschlossen worden.
Symbolbild - Keystone
Symbolbild - Keystone - Community

Das Wichtigste in Kürze

  • Nau.ch zeigt Ihnen, was hyperlokal geschieht.
  • Schreiben auch Sie einen Beitrag!
Ad

Zu den Entdeckungen der diesjährigen Ausgabe gehörten die amerikanischen Bands The Young Mothers sowie Fly or Die der Trompeterin Jamie Branch.

In einer ersten Stellungnahme zeigte sich Festivalleiter Arno Troxler sehr zufrieden mit dem 44. Jazz Festival. Dass die Zuschauerzahlen der vergangenen Jahre trotz Herbsteinbruchs gehalten werden konnten, freue die Festivalleitung genauso wie die gute Stimmung.

Während fünf Tagen wurde ein auch für Willisau äusserst breites Spektrum von Musik präsentiert, das man im weitesten Sinne zum Jazz zählen kann. Da wurden am einen Ende Standards und Broadway-Songs in gediegener Virtuosität dargeboten (Feigenwinter/Oester/Pfammatter) und am andern Ende eine von jeglichen musikalischen Dogmen entfesselte und alle Stile mischende, teils brachiale Musik (The Young Mothers). Dazwischen hörte man kammermusikalischen Jazz (Nate Wooley Battle Pieces), Experimentelles und Musiker auf der Suche nach Eigenständigkeit, wenn auch nicht immer über alle Zweifel erhaben.

"Now's the Time» für Fredy Studer

Zu den überzeugendsten Konzerten gehörte der Solo-Auftritt des Drummers Fredy Studer. Der 70-Jährige steht in seinem Zenit und präsentierte unter dem Titel «Now's the Time» die hohe Kunst des Schlagzeugs. Beschränkt auf das klassische Instrumentarium, ohne Verstärkung und Firlefanz, zeigte er, was aus diesem an Klängen, Nuancen, Feinheiten herauszuholen ist, gar nicht zu reden vom Reichtum an rhythmischen Strukturen.

Zwölf Mann brachte dagegen das Fischermanns Orchestra auf die Bühne. Eine erfrischend aufspielende Schweizer Street Band (unter Beteiligung von ausländischen Musikern), die demnächst in Südamerika auf Tournee geht. Man kann sich vorstellen, dass diese Band auf der Strasse noch etwas freier agieren kann als in der statischen Präsentation der Bühne.

Enttäuschend dagegen war der Auftritt des legendären Gitarristen James Blood Ulmer mit der schwedisch-norwegischen Band The Thing; hier wollte die Interaktion nicht funktionieren. Mit einem brillanten und einfühlsamen Programm als Hommage an den verstorbenen Jazzpionier Ornette Coleman gastierte das Trio Celea-Reisinger-Parisien. Zu den gelungenen Konzerten gehörte auch Hans Kennels «Wood & Brass» in der ausverkauften Rathausbühne.

Die Entdeckungen von Willisau 2018

Eine Entdeckung des Festivals waren The Young Mothers (hören wir in diesem Namen ein Echo auf Zappas «Mothers of Invention"?). Dass Austin, Texas, eine äusserst lebendige Musikszene hat, ist bekannt. Was aber diese vom 46-jährigen norwegischen Bassisten Ingebrigt Haker Flaten gegründete Anarchistenbande bot, schlägt alle Vorstellungen. Die «jungen Mütter» sind weder Mütter, noch besonders jung, sondern sechs Männer, die buchstäblich den Eklektizismus neu definieren.

In dieser musikalischen Überdosis kann man alles hören: Noise, Free Jazz, Rap, Hip-Hop, Rock, Urschrei, Heavy Metal, Flamenco und manchmal einen Unisono-Bläsersatz, der an Bigbands erinnert. Die explosive Mischung ist aber kein zusammengestückeltes Potpourri, kein aneinandergereihtes Stückwerk, kein aufgesetzter Faltprospekt, vielmehr besticht sie durch ein gekonntes Verweben der Elemente, die nahtlos ineinander aufgehen. Zu diesem an sich schon bestechenden Konzept kommt eine Dichte, Intensität und Bühnenpräsenz, wie man sie nur selten zu hören bekommt.

Präsenz zeichnet auch das Quartett Fly or Die der 35-jährigen New Yorker Trompeterin Jamie Branch aus - die zweite Entdeckung und ein weiterer Höhepunkt des Festivals. Obwohl auch sie verschiedene Elemente aufnimmt, lässt sie es nicht in der wilden Art der Young Mothers ausfransen, sondern präsentiert sie in einer lustvoll gespielten und vollendeten formalen Geschlossenheit.

Mehr Licht als Schatten

Dabei kann sie sich auf eine kongeniale Kombo mit Cello, Bass und Schlagzeug stützen, die einen gekonnten, sublimen, kunstvoll verknüpften Sound erzeugt, in den Branch mit ihrer Trompete einfällt und markante Akzente setzt. Während das Adjektiv «schön» beim Sextett aus Austin eine Fehlplatzierung wäre, darf man es auf Fly or Die durchaus anwenden (sofern man darunter nicht gefällige, glatt polierte Wohlfühlmusik versteht).

Sie freue sich, hier in Willisau zu spielen, meinte die Trompeterin. Amerika sei im Moment sowieso «fucked up». Nun, so lange von dort solche Musik kommt, ist noch nicht alles verloren. Oder ist es gar die derzeitige Atmosphäre, die solch freie, ungestüme Musik hervorruft? Jedenfalls erinnerten diese beiden Bands aus den USA an die wilde Aufbruchstimmung der Sechziger- und Siebzigerjahre.

Fügen wir noch hinzu, dass das Willisauer Festival seine Musiker im besten Licht präsentierte. Die Lichtregie sorgte in diesem Jahr für ein auffallendes und überzeugendes Bühnenbild, das die Musik nicht konkurrenzierte, jedoch für das passende Ambiente sorgte.

Ad
Ad